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Vorlage für offenen Brief an Sozialministerin Beate Hartinger-Klein betreffend Abschaffung der Notstandshilfe

Aktiver Admin am Do., 01.03.2018 - 13:50
Angaben zum Brief
Brief abgesendet

[Vorname] [Nachname]
[Straße] [Hausnummer]

[Postleitzahl] [Ort

Frau Bundesministerin
für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz

Mag. Beate Hartinger-Klein
Stubenring 1

1010 Wien

per Fax: +43 1 7158258

[Ort], [Datum]

O F F E N E R B R I E F

Sehr geehrte Frau Bundesministerin!

Sehr geehrte Frau Mag. Hartinger-Klein!

Anfang Jänner dieses Jahres widmete sich die ORF-Sendung „Report“ den Arbeitsmarktmaßnahmen des Regierungsprogramms, insbesondere der Abschaffung der Notstandshilfe.

Sie wurden für diese Sendung interviewt. Wörtlich äußerten Sie: „Mir ist es wichtig, das wir alle Partner, alle Systempartner, egal ob es jetzt die Wissenschaft, ob es Studien gibt, ob es den Rechnungshof gibt, Gesetze gibt, dass man wirklich alle miteinbezieht. Dass man die Länder miteinbezieht, dass man hier versucht, auch die NGO's [...] einzubeziehen, die wirklich das Ohr beim Betroffenen haben. Mir ist es wirklich wichtig zu schauen, wo hole ich die Menschen mit ihren Bedürfnissen ab.

Diese Aussage hat mich sehr irritiert. Warum? Weil Sie – wie man Ihrer Aussage entnehmen kann – eine Reihe von Gruppen und Organisationen miteinbeziehen wollen – aber ausgerechnet die unmittelbar Betroffen nicht. Wie kann das sein?

Die beabsichtigte Vorgangsweise, welche die unmittelbar Betroffenen ausdrücklich nicht miteinzubezieht, ist in mehrerlei Hinsicht äußerst eigenartig. In jedem Fall ist es so ziemlich das Gegenteil von Demokratie, die unmittelbar Betroffenen nicht miteinzubeziehen. Wie können denn die Bedürfnisse der unmittelbar Betroffenen berücksichtigt werden, wenn diese nicht miteinbezogen werden? Die Nicht-Miteinbeziehung der Betroffenen stellt auch einen Gesetzesbruch dar. Es steht zu vermuten, dass Sie das nicht wissen. Aus diesem Grund möchte ich an die gesetzlichen Grundlagen für Ihre Arbeit – und die Arbeit der gesamten Regierung – erinnern.

Österreich hat das ILO Übereinkommen 122 ratifiziert und mit BGBl Nr. 355/1972 in den Gesetzesrang gehoben:

Artikel 1

  1. Um das wirtschaftliche Wachstum und die wirtschaftliche Entwicklung anzuregen, den Lebensstandard zu heben, den Arbeitskräftebedarf zu decken sowie die Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigung zu beseitigen, hat jedes Mitglied [Mitgliedsland] als eines der Hauptziele eine aktive Politik festzulegen und zu verfolgen, die dazu bestimmt ist, die volle, produktive und frei gewählte Beschäftigung zu fördern.

  2. Diese Politik muß zu gewährleisten suchen,

    1. dass für alle Personen, die für eine Arbeit zur Verfügung stehen und Arbeit suchen, eine solche vorhanden ist;

    2. dass diese Arbeit so produktiv wie möglich ist;

    3. dass die Wahl der Beschäftigung frei ist und jeder Arbeitnehmer alle Möglichkeiten hat, die notwendige Befähigung für eine ihm zusagende Beschäftigung zu erwerben und seine Fertigkeiten und Anlagen bei dieser Beschäftigung zu verwenden, und zwar ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Glaubensbekenntnis, politische Meinung, nationale Abstammung oder soziale Herkunft.

  3. Diese Politik hat den Stand und die Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung sowie die Wechselbeziehungen zwischen Beschäftigungszielen und anderen wirtschaftlichen und sozialen Zielen gebührend zu berücksichtigen und ist mit Methoden zu verfolgen, die den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechen.

Artikel 2

Jedes Mitglied [Mitgliedsland] hat mit Methoden, die den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechen und soweit es die innerstaatlichen Verhältnisse gestatten,

  1. im Rahmen einer koordinierten Wirtschafts- und Sozialpolitik die Maßnahmen zu beschließen und ständig zu überprüfen, die zur Erreichung der in Artikel 1 angegebenen Ziele zu treffen sind;

  2. die Schritte zu unternehmen, welche für die Durchführung dieser Maßnahmen notwendig sein können, allenfalls einschließlich der Aufstellung von Programmen.

Artikel 3

Bei der Durchführung dieses Übereinkommens sind Vertreter der Personen, die von den beabsichtigten Maßnahmen betroffen werden, und insbesondere Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in Bezug auf die Beschäftigungspolitik anzuhören, damit deren Erfahrung und Meinung volle Berücksichtigung finden und damit ihre volle Mitarbeit bei der Ausarbeitung dieser Politik und somit die Unterstützung dieser Politik gesichert werden.

Neben dem ILO Übereinkommen 122 stellt auch der von Österreich unterzeichnete internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („WSK-Pakt“) eine weitere gesetzliche Grundlage für die Beschäftigungspolitik dar – insbesondere die Artikel 6 und 7.

Angesichts der aus diesen Gesetzen für Sie (und die Regierung) resultierenden Pflichten, gestatte ich mir nachfolgende Fragen, um deren Beantwortung ich Sie im Namen aller Österreicherinnen und Österreicher bitten möchte.

Vorweg sei hier noch das überaus wichtige Faktum festgehalten, dass mit Stand Jänner 2018 455.860 Erwerbsarbeitslosen 59.103 sofort verfügbare und 15.758 nicht sofort verfügbare Erwerbsarbeitsstellen gegenüberstehen (Quelle: Übersicht über den Arbeitsmarkt des AMS). Es bedarf nur einer einfachen Rechnung, um festzustellen, dass es somit für hunderttausende Österreicherinnen und Österreicher keine Erwerbsarbeitsstellen gibt.

1) Wie wird Ihrer Meinung nach durch die geplante Abschaffung der Notstandshilfe (wodurch die betroffenen Erwerbsarbeitslosen enteignet und in die Mindestsicherung gedrängt werden) gewährleistet, dass (gemäß ILO Übereinkommen 122 Artikel 1) „für alle Personen, die für eine Arbeit zur Verfügung stehen und Arbeit suchen, eine solche vorhanden ist“?

2) Finden Sie es gerecht, dass diese durch die unfreiwillige Erwerbsarbeitslosigkeit ohnehin schon wirtschaftlich benachteiligten Menschen nun dadurch, dass sie mit der geplanten Abschaffung der Notstandshilfe enteignet und in die Mindestsicherung gedrängt werden, auch noch ihr (meist bescheidenes und mühsam erarbeitetes) Vermögen abgeben müssen?

Finden Sie es grundsätzlich gerecht, dass jemand sein Vermögen abgeben muss, wenn es keinen Erwerbsarbeitsplatz für ihn gibt?

3) Es ist absehbar, dass in Zukunft viele der derzeit noch bestehenden Erwerbsarbeitsplätze durch Rationalisierung und Automatisierung (Stichwort: Digitalisierung und Industrie 4.0) verschwinden werden.

Halten Sie die geplante Abschaffung der Notstandshilfe und die Enteignung von Beziehern der Mindestsicherung für eine geeignete Maßnahme um den genannten, absehbaren Entwicklungen in der Arbeitswelt zu begegnen?

4) Wollen Sie weiterhin an der erklärten Absicht festhalten, die unmittelbar Betroffenen – also Erwerbsarbeitslose – nicht miteinzubeziehen?

Oder werden Sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten und so wie es das ILO Übereinkommen 122 (Artikel 3) fordert, die Vertreter der Personen miteinbeziehen, die von den beabsichtigten Abschaffung der Notstandshilfe betroffen sein werden, damit deren Erfahrung und Meinung volle Berücksichtigung finden kann?

5) Sehen Sie in der beabsichtigten Abschaffung der Notstandshilfe und der Enteignung von Erwerbsarbeitslosen geeignete Schritte zum Schutz des Rechts seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen (gemäß Artikel 6 des WSK-Pakts)?

6) Wie gewährleistet die Abschaffung der Notstandshilfe und die Enteignung von Erwerbsarbeitslosen, dass Arbeitnehmer ein Arbeitsentgelt erhalten, welches mindestens einen angemessenen Lebensunterhalt für sie und ihre Familien sichert (gemäß Artikel 7 des WSK-Pakts)?

Mit freundlichen Grüßen,

 

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