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Offener Brief an den Kurier: Regierungsproganda zur Entsolidarisierung Statt Journalismus?

Soumis par oberdammer le mer, 13.06.2018 - 09:14
Angaben zum Brief
Brief abgesendet

Sehr geehrte Redaktion,

mit Bedauern muss ich feststellen, das Ihr Medium sich zum Propagandaarm der Blautonregierung in Sachen Arbeitslosen-Bashing macht und dabei jegliche journalistische Seriosität über Bord geworfen hat. Das Spiel der Regierung ist leicht durchschaubar: Offensichtlich will man über die Sommermonate möglichst überfallsartig den Gesetzesentwurf zur Abschaffung der Notstandhilfe durchdrücken, und hat als Begleitmaßnahme mit der medialen Diffamierung der Arbeitslosen begonnen. Im April ging man es rassistisch an, wie es bei dieser Regierung nicht anders sein kann, und ließ von angeblich aggressiven arbeitslosen Migranten berichten. Dann hat Herr Kopf im Standard den gravierenden Mangel an Arbeitskraftnachfrage wegkommentieren wollen, indem er uns den Qualifikationsmangel der Arbeitslosen als strukturelle Ursache der seit gut vier Jahrzehnten steigenden Arbeitslosigkeit verkaufen wollte, und nun fabulieren die Kurierschreiberlinge Reibenbein und Jäger am 1. 6. 2018 in der Sache völlig ahnungslos von den angeblich so arbeitsunwilligen Arbeitslosen. Aus Regierungssicht hat es natürlich seine schmutzige Logik, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Wenn sich Medien für dieses Geschäft hergeben, wirft das einige sehr grundsätzliche Fragen über deren Verhältnis zum Journalismus auf.

Manipulation durch Weglassen

  1. Wenn jemand über sechs gerichtliche Verurteilungen, sagen wir von Angehörigen einer ethnischen Minderheit, etwa der Burgenlandkroaten berichten würde, und dies mit „Immer mehr Burgenlandkroaten werden straffällig“ übertitelte, würden nicht nur die Burgenlandkroaten zu Recht Sturm gegen diese Art der Verhetzung laufen. Genau das macht Frau Reibenbein mit den Arbeitslosen. Mediale Manipulation ist nicht nur eine Frage der technischen Richtigkeit des Berichts, sondern der Auswahl. Ein Bericht der nur auf – vom VGH sanktionierte - angebliche „Ausreden“ von Arbeitslosen fokussiert, ist daher an sich schon unseriös. Schon der Begriff ist pure Demagogie: Vor einem Gericht vertreten juristische Subjekte ihre Interessen mittels einer Rechtsmeinung, ob diese vom Gericht nun geteilt wird oder nicht

  2. Der Fokus des Berichts erscheint aber umso einseitiger, als es jede Menge Verfahren mit dem AMS gibt, die von den Betroffenen gewonnen werden. Trotz der rechtsstaatlich höchst bedenklichen Notstandsgesetzgebung, die es dem AMS erlaubt die Arbeitslosen schon vor und während Durchführung eines Ermittlungsverfahrens „vorsorglich auszuhungern“ sind etwa 30% derer, die sich trotzdem noch trauen, den Rechtsweg zu beschreiten, erfolgreich. Sind nur die angeblichen „Ausreden“ der Arbeitslosen für Frau Reibenbein news-worthy, aber nicht die rechtsstaatswidrigen Zustände beim Arbeitslosenrecht und seiner Vollziehung, in die sich vor drei Jahren sogar der Verfassungsgerichtshof durch Aufhebung des §56, Abs. 3 des AlVG einzugreifen bemüßigt gefühlt hatte? Wenn Sie schon über AMS-Sanktionen berichten und in geradezu geiferndem Ton deren Opfer verurteilen zu müssen glauben, wäre es zumindest aus einer echten journalistischen Perspektive angebracht, sich anzusehen, wie solche Sanktionen zustande kommen, auch wenn Sie mit dem Thema bei der Regierung nicht unbedingt punkten dürften.

Vielleicht würde es bei den diversen Handlangern der Blautonregierung in Sachen Verelendung und Demontage der Sozialstandards an das Interesse Rechtsstaatlichkeit heben, wenn ihnen eine Verwaltungsstrafe, sagen wir wegen eines Verkehrsdelikts aufgebrummt würde, und die Behörde exekutiert diese in der Höhe von eineinhalb Monatsgehältern einfach schon einmal bevor ein Bescheid vorliegt und ein Rechtsmittel dagegen ergriffen werden kann. Kann ihnen natürlich nicht passieren, weil im Verwaltungsrecht eine Strafe dem Bestraften zumindest die Mittel für einen bescheidenen Lebensunterhalt belassen muss. Bei Arbeitslosen ist die zumindest temporäre Vernichtung der materiellen Existenz an der Tagesordnung.

 

  1. Dazu käme die vermutlich ziemlich hohe Dunkelziffer von Fälle, in denen das AMS Bezugssperren sang- und klanglos wieder zurücknehmen muss, bevor sie überhaupt zu Gericht gehen können, weil sie absolut keinerlei rechtliche Basis haben, und nur auf gut Glück probiert wurde, ob sich die Betroffenen wehren. 2017 wurden gut 10% der von Arbeitslosigkeit Betroffen sanktioniert. ei Befragungen der Arbeiterkammer OÖ gaben aber schon mal 24% der Arbeitslosen an, mit einer Sanktion bedroht worden zu sein. Wenn dieser Richtwert zutrifft, muss das AMS über die Hälfte seiner Sanktionen zurücknehmen, bevor sie überhaupt zu einem Gericht gehen können. Beispiel gefällig? Die Verhängung einer Bezugsperre wegen der Aktenüberstellung in eine andere Regionalstelle desselben Bundeslandes. Als sich der Betroffene nicht überrumpeln ließ, sondern einen Bescheid verlangte, war die Sperre augenblicklich vom Tisch und der AMS-Regionalstellenleiter verfiel nur mehr ins Stammeln über den Grund der Verhängung. Best of des temporären Stotterers: Wir denken, dass die Übermittlung der Mitteilung an Sie den Charakter des KundInnenservice hatte um sie an die bei uns erforderliche Vorsprache zu erinnern. Ein gutgemeinter Service, der aber in Ihrem Fall mehr zur Verwirrung bzw. Verunsicherung beigetragen hat als Sie zu unterstützen, ....“

Wie wäre es mit einer Liste der peinlichsten und menschenverachtendsten Ausreden des AMS für sein rechtswidriges Handeln. Nicht news-worthy, Frau Reibenbein? Auch nicht der rechtsstaatlich skandalöse Zustand, dass das AMS seit 2004 – anders als andere Verwaltungsbehörden – formlos, d. h. in der Regel ohne jede Begründung und ohne Ausstellung eines Bescheids existenzvernichtende Sanktionen verhängen darf? Vielleicht sollten Sie dazu nicht nur die PR-Fuzzis der Regierung befragen, sondern unabhängige Wissenschafter: "Die immer wieder anzutreffende Verwaltungspraxis, die Leistung auf Verdacht hin einzustellen und auf eine Reaktion des Leistungswerbers zu warten, stellt eine eklatante Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Artikel 18 Bundes-Verfassungsgesetzes dar" (Univ. Prof. Walter Pfeil: Arbeitslosenversicherungsrecht, Wien 2005, 122/8).

Tatsache ist, dass die Sanktionen des AMS von der Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren durch Aushungern der materiell abhängigen Leistungsbezieher lebt, und ansonsten oft zwei rechtlich informierte Briefe reichen, um den Spuk zu beenden. Kein Wunder, denn selbst die Bescheide, die das AMS manches Mal notgedrungen ausstellen muss, wenn es nicht gelungen ist, die Arbeitslosen vorsorglich in Unterwerfung zu hungern, sind mitunter schon für informierte Laien als peinlich zu qualifizieren. So zog das AMS z.B. eine Bezugsperre zurück: „Das Prüfverfahren gemäß § 10 AlVG ist mittlerweile abgeschlossen, da die zuständigen SachbearbeiterInnen zum Schluss kamen, dass keine Sanktion verhängt wird.“ Hatten sie an dem Tag gut gefrühstückt, oder gab es da noch irgendeinen gesetzlichen Grund für den Rückzieher. In dieser neoabsolutistischen Parallelwelt geruht die Obrigkeit immer noch zu belieben, und bevor man sich mit willkürlich verhängten Sanktionen vor dem Verwaltungsgericht blamiert, nimmt man sie lieber ebenso selbstherrlich zurück. Mit Rechtsstaat hat das nichts zu tun.

Desinformation durch selektive und unerklärte statistische Zahlen

Bezeichnender Weise kommt die Desinformation in Frau Reibenbeins Machwerk in Titel und Vorspann, die Detailinformation über die Zahlen folgt dann unvollständig und halbherzig weiter unten. Auf den Aufmacher „Stellenverweigerung durch Arbeitslose“ folgt die Gesamtzahl der Sanktionen aus 2017 fett im Vorspann, was suggeriert, es würden hunderttausende Arbeitslose jedes Jahr angebotene Jobs verweigern. Wo der flüchtige Leser sowieso nicht mehr weiter liest, folgt dann die Information, dass 50% für Terminversäumnisse verhängt werden, also absolut nichts mit der Annahme eines Jobs zu tun haben. Tatsächlich haben fast 80% der AMS-Sanktionen nichts mit den §§9 und 10 AlVG zu tun. Wer über die Gesamtzahl der Sanktionen schreibt, sollte nicht von verweigerten Stellen faseln, und wer von echten Stellenverweigerungen schreiben will, sollte sich die richtige Zahl dazu suchen, was übrigens nicht ganz so einfach ist. Denn was sich hinter den 19.247 Sanktionen nach §10 verbirgt, hat noch lange nichts mit der Verweigerung einer konkreten Stelle zu tun.

  1. So kann unter diesem Titel sanktioniert werden, wenn das AMS meint der Betreffende schreibe zu wenige Eigenbewerbungen. Wenn es keine geeigneten Stellen gibt, kann aber jeder soviel Bewerbungen schreiben, wie er will, ohne deshalb jemals einen Job zu bekommen. Da wird nur sanktioniert, wer die praktisch sinnlosen Rituale des AMS nicht zur Zufriedenheit mitspielt. Wie sinnentleert diese sind, kann man den Publikationen des AMS selbst entnehmen: "Generell entsteht aus diesen Ergebnissen der Eindruck, dass aufgrund der Bewerbungsverpflichtung der Arbeitssuchenden und der Notwendigkeit, Bewerbungen nachzuweisen, immer wieder die Qualität (passende Stelle, Interesse, Motivation) zu kurz kommt und es vor allem darum geht, sich irgendwo zu bewerben, egal wo“ (Breitenfelder, Ursula und Kaupa, Isabella: „Offen gesagt – Endbericht des Dialogforums zum Wiener Arbeitsmarkt 2017“, veranstaltet von AK Wien/ AMS Wien/ WAFF“, Wien Jänner 2018, S. 48).

  2. Vereitelung ist ein - durch zum Teil unsägliche Gerichtsurteile - recht weiter Begriff geworden: Dem potentiellen Arbeitgeber beim Vorstellungsgespräch nicht arbeitseifrig genug zu erscheinen, nicht hübsch genug angezogen zu sein, Umstände, die den Arbeitgeber stören könnten, wie Gesundheitszustand, die eigene Überqualifikation, Nebenbeschäftigungen oder geplante Ausbildungen, u.v.m. nicht gebührend verheimlicht zu haben, ist „Vereitelung“. Gehaltsforderungen sind nur dann keine Sünde wider die Arbeitswilligkeit, wenn sie in zumutbarem Ausmaß, sprich in Höhe des Kollektivvertrages erfolgen. Verlangt Arbeitssuchender ein höheres Gehalt als der Dienstgeber anbietet, muss er gleichzeitig vehement betonen, dass er es auch billiger macht, so dass sich die Forderung verhandlungstechnisch gleich erübrigt. Vertragsfreiheit ist somit für Arbeitslose entsorgt, und die Bezeichnung Zwangsarbeit mehr als berechtigt. Erkundigungen nach Arbeitsbedingungen oder einem Betriebsrat gelten dann als Vereitelung, wenn sie ein „grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Unternehmen ausdrücken“. Da heißt es aber aufpassen bei der Formulierung.

  3. Da auch die Verweigerung oder Vereitelung von so genannten Schulungen darunter fällt, ist ein Zusammenhang dieser Sanktionskategorie und somit den genannten 19.247 Fällen mit einer abgelehnten Stelle überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen, es sei denn jemand glaubte wirklich noch, des AMS repressive Beschäftigungstherapien würden irgendetwas, geschweige denn am Arbeitsmarkt Verwertbares vermitteln. In der großen Mehrzahl davon wird nämlich auf nichts Anderes als auf Arbeitsloser geschult: Über 40% dienen nur der Verwahrung Arbeitsloser mit betreutem Bewerbungsschreiben und ähnlichem Schnickschnack, und weitere 20% sind Arbeitsimulation in Stellen, tw. auch bei Firmen (2. Arbeitsmarkt), die es nur gibt, weil das AMS subventioniert (WIFO: Eine Typologie Arbeitsloser nach Dauer und Häufigkeit ihrer Arbeitslosigkeit 2010-2013, Wien, Dezember 2014, S.8). Niemand, der diese sinnentleerten Rituale verweigert, hat auch nur den Zipfel eines Stellenangebots gesehen, das er verweigern hätte können.

Das AMS hat natürlich seine Gründe, die §10-Sanktionen nicht genauer aufzuschlüsseln. Da könnte man vielleicht erkennen, dass echte Verweigerungen einer wirklich angebotenen und existierenden Stelle nur ein verschwindender Bruchteil sind, was noch lange nicht heißt, dass diese nach den gesetzlichen Zumutbarkeitsbestimmungen unberechtigt wären, sondern nur, dass sich der Betroffene gegen die Sanktion nicht wehren hatte können. Wenn Sie also wirklich summarisch über die von Arbeitslosen verweigerten Stellen schreiben wollen, sollten Sie beim AMS anfragen, die tatsächlichen Zahlen herauszurücken.

Die große Verschleierung: Mangel an Arbeitsplätzen oder Arbeitswilligen?

"When the truth is replaced by silence, the silence is a lie." (Yevgeny Aleksandrovich Yevtushenko zitiert nach John Pilger, Address to the Logan Symposium, 'Building an Alliance Against Secrecy, Surveillance & Censorship', organised by the Centre for Investigative Journalism, London, 5-7 December, 2014). Wer von Stellenverweigerungen und Sanktionen schreibt und die Fundamentaldaten des Arbeitsmarktes weglässt, lügt auch.

  1. Haben sich ihre Lohnschreiberlinge eigentlich gefragt, wo die vielen Jobs herkommen, die da angeblich verweigert werden. Aus dem Paralleluniversum? So wie der unselige Kommentar des Herrn Kopf uns einreden will, die Arbeitslosigkeit liege hauptsächlich an der Qualifikation der Arbeitslosen, versuchen Ihre Schreiberlinge sie mit angeblicher Arbeitsunwilligkeit zu begründen. Glaubte man dieses unseriöse Jonglieren mit den hunderttausenden oder zehntausenden Arbeitsverweigerern, könnte man glatt meinen, die Vollbeschäftigung der 60-er Jahre sei wegen sinkenden Arbeitswillens verschwunden. Wer aber die zentralen statistischen Bezugsgrößen unter den Tisch fallen lässt manipuliert in unverschämter Manier. Durchschnittlich hatten sich 2016 0,1 sofort verfügbare Stellen pro Arbeitslosen in der AMS-Datenbank befunden, und im Jahr 2017, das sich manche nicht entblödeten als Hochkonjunkturjahr zu feiern, waren es 0,14. Auf Basis des geschätzten Anteils des AMS an der gesamten Arbeitskraftnachfrage in Österreich fehlten somit durchschnittlich Stellen für drei Viertel (2016) bzw. zwei Drittel (2017) der Arbeitslosen am österreichischen Arbeitsmarkt. Wer also flockig mit Zahlen über angeblich verweigerte Stellen herumwirft, sollte sich vielleicht die Frage stellen, welches quantitative und qualitative Angebot an Stellen überhaupt zur Verfügung steht, anstatt mithilfe billiger Sündebockpflege die tatsächlichen Ursachen der seit 40 Jahren steigenden Arbeitslosigkeit verdrängen zu helfen. Will man wirklich Journalismus betreiben, müsste die diesbezügliche Omerta der politischen Klasse zuallererst in Frage gestellt werden, anstatt mitzuschweigen.

  2. Der absurden Verdrängung des Stellenmangels dienen natürlich auch die kolportierten 94 Vermittlungsvorschläge für einen Arbeitslosen im Jahr, die da referiert werden.

  • Dass diese der krudesten Propaganda dienen demonstriert ihr Lohnschreiber Jäger, der die „Meinungssektion“ für die Lizenz zum Verdrehen von Tatsachen zu halten scheint. 94 Vermittlungsvorschläge hätte der Arbeitslose gar abgelehnt. Jäger sollte einmal ein Experiment machen, und testen wie viele Vermittlungsvorschläge er beim AMS ablehnen kann, bevor er aus dem Leistungsbezug fliegt. Bis Nr. 94 kommt er da bestimmt nicht. Seine Kollegin weiß aber durchaus, dass von den Vermittlungsvorschlägen „keiner zu einem Job führte“, nur Jäger will einzig Verweigerung als Grund dafür gelten lassen. Hat er das überprüft, oder verdreht er es wissentlich? Damit bedient er gleich zwei tatsachenwidrige Narrative: Jobs gibt es in seinem Paralleluniversum anscheinend wie Sand am Meer, und schuldig an der Arbeitslosigkeit sind nur die Arbeitslosen, die das Arbeiten verlernt hätten. Angesichts dieser Primitiv-Demagogie, ist man geneigt, sich zu fragen, was Jäger alles verlernt - oder nie gelernt - hat? Vielleicht eine Meinung faktenmäßig zu begründen?

  • Die Demagogie von Reibenbein und Jäger schlägt bei diesem Fall wilde Kapriolen. 24 Jahre hätte der arbeitslose Tischler von staatlicher Unterstützung gelebt, wird betont, obwohl dies absolut nichts mit dem präsentierten Rechtsfall zu tun hat. Aber ein wenig außergerichtliches Hetzen ist am dumpfen Stammtisch nie falsch. Dumm nur das die Leistungen des AMS nun mal eine Versicherungsleistung, keine „staatliche Unterstützung“, und deren Auszahlung an vorherige Prämienzahlungen, wie bei jeder anderen Versicherung gebunden ist; und keine andere Versicherung überprüft das Vorliegen eines Versicherungsfalls so penetrant, wie das AMS. Aber die Empörung ihrer Schreiberlinge suggeriert eine andere so abstoßende wie irrationale Diffamierung: Ist der Arbeitslose etwa an seiner Arbeitslosigkeit selbst schuld? Machen sich die Arbeitlosen in des Kuriers Parallelwelt ihre Stellen selbst, oder glaubt da jemand seine eigene Propaganda von dem massenhaften Stellenüberschuss? Haben ihre Schreiberlinge ab und zu in die Arbeitslosigkeitsstatistik oder den einen oder anderen Wirtschaftsbericht der letzten drei Jahrzehnte hineingesehen? Seit 1993 ist die Arbeitslosenquote von 6,8% auf einen Höchststand von 9,1% 2016 gestiegen. So what?

  • Wer die Arbeitsmarktrealitäten nicht so gründlich verdrängt, wie ihre Schreiberlinge, weiß nämlich, dass nach Adam Riese immer der Großteil der Arbeitsuchenden bei der Arbeitssuche und der dubiosen Vermittlungstätigkeit des AMS leer ausgehen muss. Der Mann gehörte eben dazu, und wahrscheinlich hat seine Qualifikation großteils nicht zu den kolportierten 94 Stellenvorschlägen des AMS gepasst. Das journalistische Versagen liegt darin, die genannte Zahl nicht in Relation zum tatsächlichen Ausmaß der durchschnittlichen AMS-Vermittlungstätigkeit zu setzen, und damit zu suggerieren, das AMS überschütte die Arbeitslosen nur so mit Stellenangeboten: 0,86 Vermittlungsvorschläge sind es durchschnittlich pro Monat (Wifo, S. 7). Viele Arbeitslose bekommen aber auch gar keine: So erhob die AK OÖ 2016 40% der Befragten, die seit sechs Monaten keinen einzigen Vermittlungsvorschlag erhalten hatten (OTS vom 6. 2. 2017).

  • Die hohe Zahl von Vermittlungsvorschlägen in dem konkreten Fall deutet nur auf eine sattsam bekannte Repressionstaktik des AMS hin: So werden Arbeitslose, die ihre Rechte kennen und sich gegen die Zumutungen des Sanktions-Service wehren, regelmäßig mit Fehlzuweisungen zugemüllt, in der Hoffnung, einen Anlass für eine Sanktion zu finden. Den Psychoterror, ständig sinnlose Bewerbungen schreiben zu müssen, ertragen Arbeitslose oft nur schwer. Wer es nicht glaubt, lese die vielen diesbezüglichen Erfahrungsberichte auf der Website http://www.aktive-arbeitslose.at nach.

Für richtige Journalisten wäre es überhaupt eine nahe liegende Idee, Betroffene und ihre Selbsthilfeorganisationen auch einmal zu fragen, oder?

Mit unbelegten Einzelfällen gegen gültige Sozial(-rechts-)standards geifern

Abgesehen von der Beihilfe zur Realitätsverweigerung mittels Sündbockpflege machen die Kurierschreiberlinge aber auch in geradezu geifernden Ton gegen alles mobil, was gültiges Recht ist, zumindest wenn es sich auf Arbeitslose bezieht. Es sind nur die dümmsten Kälber, die nicht verstehen, dass die arbeits- und sozialrechtlichen Standards für alle sinken, wenn vom AMS verordnete Zwangsarbeit, nicht Existenz sichernde Beschäftigung und täglich eineinhalb Stunden Fußmarsch zur Arbeit für Arbeitslose propagiert wird. Die Gehässigkeit des Mobs gegenüber Sündenböcken kommt natürlich mit einer bescheidenen Faktenbasis aus, weshalb nicht einmal die Geschäftszahlen der Urteile der referierten Rechtsfälle angegeben werden, damit der Leser die präsentierten sensationshascherischen Informationsschnippsel über diese nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen kann. Denn jeder Jurist wird bestätigen, dass ein bestimmtes Tatbild nur bei Kenntnis des Gerichtsaktes wirklich beurteilt werden kann. Aber vielleicht haben ihre Regierungslobbyisten die Urteile selbst nie gelesen, sondern nur abgeschrieben, was ihnen ein PR-Fuzzi des AMS oder Sozialministeriums auf einem Zettel in die Hand gedrückt hatte. Es geht ja auch nicht um ein seriöses Urteil, das sich die Leser bilden sollen, wenn nur Emotionen zur Hetze gegen Sündeböcke mobilisiert werden. Trotz dieser Verweigerung der Quellenangaben erscheinen ein paar allgemeine Anmerkungen zur Darstellung der konkreten Fälle angebracht:

  1. Die Dauer des Arbeitsweges ist ein im AlVG klar definiertes Kriterium für die Zumutbarkeit einer Arbeitsstelle, keine Ausrede und auch kein Grund für das Geifern der Soldschreiberlinge des Kuriers. Ich weiß nicht wie diese es finden würden, wenn sie täglich bei jedem Wetter eineinhalb Stunden Fußmarsch auf sich nehmen müssten, um ihre Abschreibübungen abzuleisten. Wenn der VGH dies tatsächlich so sieht, sollten bei allen Arbeitnehmerorganisation die Alarmglocken läuten.

  2. Nach bisheriger Rechtssprechung war es kein Sanktionsgrund, „telefonisch nicht und sonst nur schwer“ erreichbar zu sein (VwGH 98/08/0289). Ja und Arbeitslose dürfen auch familiäre Verpflichtungen haben, und müssen nicht isoliert in Lagern leben. Wenn der VGH von Arbeitslosen tatsächlich eine Art Rufbereitschaft verlangt, ist dies nicht nur ein völlig unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre, sondern vor allem eine weitere sinnfreie Schikane. Wer – außer jenen, die an den suggerierten Arbeitsplätzeüberschuss glauben, also Bewohner des arbeitsreligiösen Paralleluniversums – meint wirklich, es käme darauf an. Bewerbungsverfahren dauern Monate, da geht es nicht um Minuten, auch nicht um Tage sondern Wochen.

  3. Und dann wollen die Arbeitslosen auch noch von der Arbeit leben, wo gibt es den so etwas, empören sich ihre Propagandisten, die uns ihre Ergüsse sicher nur aus Liebhaberei offenbaren, und aus anderen Quellen ihr Dasein bestreiten. Freilich, für solche Leistungen sollte tatsächlich niemand bezahlt werden. Übrigens die Engelthöhe für Beschäftigung in Österreich unterliegt tatsächlich einer Reihe von rechtlichen Bestimmung, insbesondere der kollektiven Rechtsgestaltung und ist nicht beliebig. „Sittenwidrig“ ist keine Ausrede sondern ein in der Rechtssprechung verwendeter und ausgelegter Terminus. Ja stellen Sie sich vor, den dürfen auch Arbeitslose zur Vertretung ihrer Interessen vor Gericht reklamieren, allem Keifen ihrer Schreiberlinge zum Trotz.

  4. Und eines ist auch klar: Die Arbeitsimulationen des AMS sind sicher keine Empfehlung in einem Lebenslauf, und bekommt davon niemand einen nachhaltigen Job. Denn wie mir ein AMS-"Berater" einmal freimütig erklärte, mit den Lohnsubventionen sei es wie bei der Regionalförderung: Ist der Subventionszeitraum ausgeschöpft, sei auch die Stelle wieder weg. Die zitierte Vorarlbergerin war also zu Recht um ihre Jobchancen besorgt, während diese dem AMS gleichgültig sind, solange es die Arbeitslosigkeit mit seinen Ersatzhandlungen und Sanktionsritualen auf dem Rücken von Sündenböcken wegbeschwören kann.

Vielleicht sollte man ein wenig im Arbeitsrecht nachlesen, bevor Arbeitslosen im Brustton der Überzeugung etwas vorgeworfen wird, was gültige Rechtslage ist.

Für den Fall, dass sich der Kurier doch wieder mehr dem Journalismus zuwenden sollte, erinnere ich an folgende Passagen des Ehrenkodex’ für die österreichische Presse:

  • 7.1. Pauschalverdächtigungen und Pauschalverunglimpfungen von Personen und Personengruppen sind unter allen Umständen zu vermeiden.

  • Wenn in einer von einem Medium behandelten Angelegenheit eine wichtige richterliche oder behördliche Entscheidung ergeht oder auf anderem Weg wesentliche neue Gesichtspunkte auftauchen, soll darüber angemessen berichtet werden.

  • 2.1. Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten und Kommentaren sind oberste Verpflichtung von Journalisten.

  • 2.4. Sobald einer Redaktion zur Kenntnis gelangt, dass sie eine falsche Sachverhaltsdarstellung veröffentlicht hat, entspricht eine freiwillige Richtigstellung dem journalistischen Selbstverständnis und Anstand.

  • 2.5. Wenn zu einem Bericht von Leserseite eine begründete Richtigstellung einlangt, soll diese so weitgehend und so rasch wie möglich veröffentlicht werden.“

Anlass für Richtigstellungen und Ausgleich der demonstrierten Einseitigkeit sollte das jüngste Arbeitslosen-Bashing des Kuriers zur Genüge bieten. „Die schrägsten Ausreden des AMS für Sanktionen“ wäre sicher ein spannendes Thema. Dazu kann ich Ihnen gerne mit Material unter die Arme greifen.

Peter Oberdammer

Wien, 10. 6. 2018

 

 

 

 

Rechtsvorbehalt: Die Zustimmung zur Veröffentlichung von Auszügen dieses Textes behalte ich mir vor. Peter Oberdammer

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