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Stellungnahme zu "Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz u.a., Änderung (232/ME)"

Submitted by Aktive Arbeits… on Wed, 17.11.2010 - 21:46

Wien/Graz, 17.11.2010

1. Allgemein

Der Verein "AKTIVE ARBEITSLOSE" begrüßt es, dass der Zugang zur beruflichen Rehabilitation verbessert wird und ein Rechtsanspruch vor der Berufsunfähigkeitspension geschaffen wird. Da es sich bei der Berufsunfähigkeits/Invaliditätspension um ein grundlegende Menschen¬recht handelt (Artikel 25 Allgemeine Menschenrechtserklärung), es sich dabei um ein komplexes Rechtsgebiet handelt und es sich um eine grundlegende Änderung des Zugangs zur Berufsunfähigkeits/Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension handelt, protestieren wir gegen die Subsumierung dieser Änderungen unter das Budgetbegleitgesetz 2011 und die kurze Begutachtungsfrist, die uns eine ausreichende Auseinandersetzung unmöglich macht. Bei der Vorarbeit zu dieser Novelle wurden Betroffene in keinster Weise eingebunden und sind nun mit einer schwer einschätzbaren Änderung konfrontiert.

Diese Stellungnahme konzentriert sich daher auf die wesentlichsten Punkte. Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert eine Verlängerung der Begutachtung und ein öffentliche Enquete, bei der Betroffene und der Organisationen ausreichend eingebunden werden.

2. Abhängigkeit der Behandlung eines Antrags auf Berufsunfähigkeit von vorheriger Prüfung einer beruflichen Rehabilitation (Zwangsreha)

Aus verwaltungsrechtlicher bzw. verfassungsrechtlicher Sicht ist es ausgesprochen problematisch, die Behandlung eines Antrags auf Berufsunfähigkeits/Invaliditätspension vom Ausgang eines vorgeschalteten Verwaltungsverfahren, das die Möglichkeit bzw. Zumut¬bar¬keit einer beruflichen Rehabilitation überprüft und dessen Ausgang nicht vorherbestimmbar ist, abhängig zu machen. Entweder es liegt im Augenblick des Antrags eine Berufsunfähigkeit vor oder nicht, alles andere ist mit den Prinzipien des Rechtsstaates unvereinbar, zumal es sich bei der Berufsunfähigkeitspension um ein Grundrecht nach Allgemeiner Menschen¬rechts¬erklärung handelt, das an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist.

Da die vorgeschaltete "berufliche Rehabilitation" auch die Wiederherstellung der Arbeits¬fähigkeit zum Ziel hat und auch "medizinische Maßnahmen" (§ 302 ASVG, § 152 GSVG), handelt es sich dabei folglich um eine menschenrechtswidrige Zwangsbehandlung, die auch nach Artikel 3 der "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" verboten ist. Somit verstößt diese Zwangsrehabilitation nicht nur gegen die Menschenrechte, sondern auch gegen geltendes EU-Recht! Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation stehen zudem nicht an allen Wohnorten zur Verfügung, weshalb – wie bereits heute üblich – eine "berufliche Rehabilitation" auch mit einer Unterbringung verbunden ist. Eine solche behördlich verordnete Unterbringung wäre zudem als Freiheitsentzug zu beurteilen und verstößt somit sowohl gegen die Menschenrechte als auch gegen die Verfassung! Auch das Recht auf Schutz des Familienlebens wird durch eine derartige Zwangsunterbringung verletzt!

Weiters wird durch die Zwangsrehabilitation in der vorliegenden Fassung das Menschen¬recht auf freie Berufswahl verletzt, das auch in Artikel 15 der "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" garantiert wird.

Unklar ist auch, nach welchen Kriterien nach der "Zwangsrehabilitation" die "Arbeits¬fähigkeit" überprüft wird bzw. welche Entschädigung für die erfolglose Zwangs¬rehabilitation gewährt wird.

Es ist auch bei weitem nicht in allen Fällen sinnvoll, eine Rehabilitation sofort zu machen (insbesondere bei psychischer Belastung ist eine Wartezeit zur Klärung von Problemen sinnvoll) und auch – wie wissenschaftliche Studien zeigen – kann der Erfolg von Maßnahmen alleine durch den Zwang gefährdet werden. Die mutwillige Vernichtung von Beitrags- und Steuergeldern ähnlich wie bei den AMS-Zwangsmaßnahmen ist zu befürchten.

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert daher die absolute Freiwilligkeit der "beruflichen Rehabilitation" zu gewährleisten und die Gewährung einer Berufsunfähigkeits-/Invaliditäts¬pension nicht von der vorgeschalteten Zwangsrehabilitation abhängig zu machen.

3. Zugang zur beruflichen Rehabilitation

Die Aufnahme der beruflichen Rehabilitation in die Pflichtleistungen der Pensions¬ver¬sicherung ist auf jeden Fall zu begrüßen. Allerdings ist die Voraussetzung, dass innerhalb der letzten 36 Monate 12 Monate einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wurde, eine inakzeptable Einschränkung, die zudem nicht mit den Voraussetzungen der Berufs¬unfähig¬keits-/Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension korreliert. Gerade Langzeit¬lohn¬arbeitslose Menschen, die keine Chance auf eine Lohnarbeit haben, werden so von einer oft dringend notwendigen Rehabilitation ausgeschlossen!

Nach wie vor besteht aber kein Rechtsanspruch auf Rehabilitation für jene, die es in die Berufsunfähigkeits-/Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension geschafft haben!

4. Verschlechterung des Berufsschutzes

(§§ 255 Abs. 2 und 2a sowie 273 Abs. 1 und 2 ASVG, § 133 Abs. 2 GSVG)

Inakzeptabel ist die Verschlechterung des Berufsschutzes, derzufolge Berufsschutz nur dann gewährt wird, wenn nun in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag mindestens 7,5 Jahre dieser Beruf ausgeübt wird. Damit werden jene Menschen bestraft, die durch die Wirtschaft am Arbeitsmarkt diskriminiert werden und durch längere Zeiten der Arbeitslosigkeit vom Recht auf Lohnarbeit ausgeschlossen werden.

Ebenfalls diskriminiert werden jene, die durch zumeist selbst finanzierte und mit hohen Einsatz errungene Weiterbildung aus einem krank machenden Beruf zu entfliehen suchten und in diesem nicht die geforderten 7,5 Jahre zusammen bringen. Das so stets propagierte "lebenslange Lernen" wird so konterkariert.

Gleiches gilt für die ebenso verschärften Bestimmungen für den "angelernten Beruf".

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert daher die Streichung dieser Schlechterstellung!

5. Verschiedene finanzielle Schlechterstellungen

In Anbetracht dessen, dass alleine durch Anhebung der Besteuerung von Kapitaleinkommen in Österreich auf EU-Durchschnitt schätzungsweise 4 Milliarden Euro pro Jahr bringt – also wesentlich mehr als die "Einsparungen" durch das vorwiegend die unteren Schichten treffende Belastungspaket zusammen kommt – sind die Verschlechterungen durch die ASVG-Novelle großteils völlig inakzeptabel und sozial unausgewogen und sollen daher gestrichen werden!

Dies trifft unter anderem folgende Punkte:

  1. Massive Erhöhung der Sätze beim Nachkauf von Ersatzzeiten (§ 116 ASVG, § 107 GSVG) bzw. Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Selbstversicherung für Selbständige (§ 32a GSVG): Schulzeiten sollen statt 10fachen der Höchstbeitragsgrundlage (= 312,36 Euro) und Studienersatzzeiten statt der 20fachen Höchstbeitragsgrundlage (= 624,72 Euro) auf einheitlich die 30fache Höchstbeitrags¬grundlage (= 937,08 Euro) erhöht werden. Da mittlerweile Schule und Studium weder einen Arbeitsplatz noch eine deutlich höhere Bezahlung garantieren und besonders Menschen mit hoher Ausbildung von Prekarisierung (Stichwort "Generation Praktikum) betroffen sind, ist diese Verschlechterung abzulehnen. Die Erläuterungen rechnen damit, dass aufgrund dieser Verschlechterung sich die Nachkäufe von Pensionsersatzzeiten halbieren wird, was die erwarteten Einnahmen deutlich reduziert. Altersarmut wird so weiter vom Staat mutwillig herbei geführt! In Anbetracht dessen, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen von Selbständigen 2005 10.632 Euro betrug und 12 % der Selbständigen armutsgefährdet leben und für viele Selbständige die freiwillige Arbeitslosenversicherung nicht leistbar ist, kann die Geldbeschaffungsaktion nur als sozial unausgewogen bezeichnet werden.
  2. Reine Geldbeschaffungsaktion ist die Rückverschiebung der zweiten Sonderzahlung von September auf Oktober. 2008 betrug die durchschnittliche Berufsunfähigkeits¬pension nur 918 Euro, die Verschiebung der zweiten Sonder¬zahlung bedeutet für viele daher eine schwer rechtfertigbare Härte.
  3. Ebenfalls willkürlich ist die Erhöhung der Verzugszinsen (§ 35 GSVG), die zum Teil höher als Kontoüberziehungszinsen werden. Aufgabe des Staates ist es nicht, Zinswucher zu betreiben.
  4. Ungerechtfertigt ist, dass Zuzahlungen zu Rehabilitationsmaßnahmen, die nun ja auch völlig zwangsweise erfolgen sollen, im Voraus geleistet werden sollen (§§ 302 und 307d ASVG, §§ 99a und 100 GSVG), die Pensionsbezüge bzw. das Übergangsgeld aber erst im Nachhinein ausbezahlt werden.
  5. Rein aus "Kostengründen" soll die erstmalige Pensionsanpassung erst ab dem ersten Jänner des zweiten Kalenderjahres erfolgen, das dem Pensionsstichtag folgt (§ 108h Abs. 1 ASVG, $ 50 Abs. 1 GSVG, $ 46 Abs. 1 BSVG).

Weitere Forderungen

Bei dieser Gelegenheit fordert der Verein "AKTIVE ARBEITSLOSE" weiters:

  • Als Beitrag zum Europäischen Jahr der Armutsbekämpfung: Schluss mit der Diskriminierung von BezieherInnen der Ausgleichszulage: Keine Abzüge (rund 50% !) bei Zuverdiensten unter der Geringfügigkeitsgrenze. Dies verbessert die Chancen auf Rehabilitation und fördert auch den Wiedereinstieg ins Berufsleben.
  • RECHT auf selbst gewählte berufliche Rehabilitation für PensionsbezieherInnen
  • Flexiblere Übergänge beim Wiedereinstieg ins Berufsleben, Verlängerung der Möglichkeit im Falle des gescheiterten Wiedereinstiegs in den Pensionsbezug zurück zu kehren auf zwei Jahre.
  • Bei Wiedereinstieg ins Berufsleben volle Anrechnung der Zeiten in der Berufsun¬fähigkeits/Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension als Pensionsersatz¬zeiten.
  • Abschaffung des "Wohnhaftparagraphen" § 89 Abs. 1 Z3 ASVG. Nach dieser Bestimmung bedürfen ASVG-Pensionisten – im Gegensatz zu Beamten – für einen länger als zwei Monate dauernden Auslandsaufenthalt der Zustimmung der PVA, die völlig nach freiem Ermessen getroffen wird.
  • Alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten (Bruno Kreisky): Einrichtung von Betroffenenvertretungen bei den Pensionsversicherungsanstalten und bei den Rehabilitationseinrichtungen mit vollen Informationsrechten.

Wir schließen uns den Forderungen der SHG Berufsunfähigkeitspension bezüglicher fairer Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht an:

  • Beweislastumkehr: Der Pensionswerber steht wie ein Konsument einem mächtigen Apparat gegenüber. Die Pensionsversicherung hatte ja bereits die Möglichkeit, ihn in ihrem Verfahren zu untersuchen. Es ist daher ihre Angelegenheit, zu beweisen, dass der vom Pensionswerber vorgebrachte Leidenszustand nicht besteht.
  • Anerkennung der Parteiaussage: Derzeit wird die Aussage des Pensionswerbers entweder nicht aufgenommen oder anderen Beweismitteln untergeordnet. Tatsächlich sind die authentischen Angaben des Pensionswerbers das wichtigste und unmittelbarste Beweis¬mittel. Seine Aussage muss voll anerkannt werden, vor allem dann, wenn Gutachter keine klare Aussage treffen. (In diesen Fällen wird derzeit die Angabe des Pensionswerbers als nicht bewiesen missachtet).
  • Abschaffung des § 42 ASGG: Nach dieser Bestimmung kann der Versicherungsträger dem Sachverständigen nach Abgabe seines Gutachten ein höheres als im Gebührenanspruchs¬gesetz vorgesehenes Honorar zukommen lassen. Diese Macht einer Partei, einen Extrabonus an Sachverständige zu vergeben, führt zu deren struktureller Befangenheit. § 42 ASGG ist mit dem verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz und dem Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 EMRK unvereinbar.
  • Objektive Auswahl der Gutachter: Sachverständige werden derzeit vom Richter frei ausgewählt werden. Zur Ablehnung neigende Richter scharen dann kongeniale Sachver¬ständige um sich. Wir fordern Zuteilung von Sachverständigen nach einem Zufalls- oder Rotationsprinzip.
  • Recht auf zweite Meinung: Derzeit kann ein Richter die Angaben seines Gutachters ohne Rücksicht auf gegenteilige Befunde und Gutachten, die der Pensionswerber vorlegt, zur "Gerichtswahrheit" erheben. Wir fordern in diesen Fällen das Recht auf eine weitere Begutachtung durch einen nicht vom Verhandlungsrichter, sondern nach Zufalls- oder Rotationsprinzip bestimmten Sachverständigen.

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