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Stellungnahme zum „Bundesgesetz, mit dem das Gerichtsorganisationsgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden“

Soumis par Aktive Arbeits… le lun, 27.02.2012 - 14:14

Allgemein

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE findet es demokratiepolitisch sehr bedenklich, in einem doch recht umfangreichen Budgetentwurf auch zahlreiche Gesetzesänderungen hineinzu­packen, die nicht direkt für die Budgeterstellung notwendig sind. Noch dazu, wenn die Begutachtungsfrist äußerst knapp bemessen ist. Damit soll wohl nach dem Motto „Speed kills“ eine Beteiligung der Bevölkerung an der Gesetzesgebung erschwert werden und eine seriöse und tiefer gehende Diskussion der Gesetzesänderungen vermieden werden.

Gerade für Armutsbetroffene erweist sich der Zugang zum Recht aufgrund bisheriger Belastungspakete als immer schwieriger. Das Recht auf ein faires Verfahren nach Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Verfassungsrang ist, gerät in Anbetracht von übertriebenen „Sparpaketen“ in unerreichbare Weite. Während auf der einen Seite eine kleine Schichte von Menschen immer reicher wird, wird durch eine sachlich nicht gerechtfertigte Sparideologie der Rechtsstaat schrittweise immer mehr beschnitten, sodass in zunehmenden Maße von einer Klassenjustiz gesprochen werden kann.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Abschaffung der Gerichtstage (Artikel X3)

Auch wenn die Inanspruchnahme der Gerichtstage fallweise zu wünschen lässt stellt deren ersatzlose Streichung eine menschenrechts- und verfassungswidrige Einschränkung des Zugangs zum Recht dar. Wenn in den Erläuterungen von nicht mehr angemessener Behandlung der Anliegen aufgrund fehlender Infrastruktur (EDV-Ausstattung, Zugang zum Justiz-Netzwerk) die Rede ist, ist die beklagte geringe Inanspruchnahme der Gerichtstage wohl auf das mangelhafte Angebot zurück zu führen. Es ist daher völlig inakzeptabel, statt die Mängel zu beheben, gleich die Gerichtstage abzuschaffen.

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert daher die Einrichtung eines zeitgemäßen Rechtshilfedienstes an den Gerichten sowie die Einrichtung einer Sozialanwaltschaft, die es Arbeitslosen und Menschen mit geringen Einkommen den Zugang zum Recht ermöglicht.

Gerichtsgebühren - Änderung der Gerichtsgesetzes (Artikel X4)

So erfreulich die Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichtshofes ist, demzufolge mit eigener technischer Infrastruktur angefertigte Kopien kostenlos sind, so unbefriedigend bleibt die Situation armutsbetroffener Menschen, die oft nicht über geeignete technische Infrastruktur (Handscanner, Digitalkameras) verfügt und für die zum Teil extrem hohen Gebühren eine menschenrechts- und verfassungswidrige Hürde beim Zugang zum Recht bedeutet.

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert daher dass die Verfahrenshilfe derartige Kosten trägt und dass für Menschen mit geringem Einkommen, auch wenn sie keine Verfahrenshilfe mehr bekommen, die entsprechende technische Infrastruktur (Digitalkameras, Handscanner) kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Verzicht auf Verfahrensrechte – Artikel X5

So verständlich für Justiz und Polizei es sein mag, Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, so darf diese doch nicht zu einer faktischen Einschränkung der Wahr­nehmung der Rechte der Betroffenen gehen. Wie wir aus dem Sozialhilfebereich mit dem allzu oft den Betroffenen aufgenötigten Rechtsmittelverzicht wissen, ist der Verzicht auf die eigenen Rechte gerade auch nach einer „Aufklärung“ alles andere als freiwillig, weshalb bei der Mindestsicherung die generelle Abschaffung des Rechtsmittelverzichts als rechts­politischer Erfolg gefeiert wurde.
Es ist daher sicher zu stellen, dass ein Verzicht auf Verfahrensbeteiligungen und Benach­rich­tigungen jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können bzw. dass derartige Verzichte nicht bloß generell sondern auch eingeschränkt möglich sind. 

Diversion bei Amtsmissbrauch – Artikel X5

Gerade in den Bereichen der Arbeitsmarktverwaltung (AMS) und Mindestsicherung sind Betroffene allzu oft mit mehr oder weniger direkten Formen des Amtsmissbrauchs kon­frontiert. Schätzungsweise die Hälfte bis Zwei Drittel der jährlich etwa 100.000 vom AMS verhängten Sanktionen sind unserer Meinung nach rechtswidrig. Viele der unter der menschenrechtswidrigen Androhung des Existenzentzuges aufgezwungenen AMS-Zwangs­maß­nahmen („Sinnloskurse“, Zwangsarbeit ähnliche Arbeitsprogramme) werden von den Betroffenen auch als Nötigung und Amtsmissbrauch empfunden. Rund um das AMS hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Geflecht von Firmen mit politischen Querverbindungen etabliert, deren Geschäftsgrundlage darin besteht, anderen Menschen die Menschenrechte zu rauben und zum Teil sogar bestehendes Recht zu umgehen (z.B. § 1155 ABGB bei den „gemeinnützigen Personalüberlassern“ durch Anwendung der unserer Meinung nach sittenwidrigen Transitarbeitskräfteregelung).

Nach einer von den AKTIVEN ARBEITSLOSEN für das Gesundheitsprojekt „Würde statt Stress“ durchgeführten Online-Umfrage fürchtet sich rund ein Drittel der Arbeitslosen vor dem nächsten AMS-Termin und bekommt gesundheitliche Beschwerden vor einem Kurs, den sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Derartige Zustände sind mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar und deuten drauf hin, dass hier sehr vieles im Argen liegt.

Aufgrund der strafrechtlichen Regelungen und des in Justiz und Polizei vorherrschenden Corpsgeistes konnte bislang mit einer rechtlichen Ahndung dieser zum Teil systematischen Rechtsbeugung nicht gerechnet werden, weshalb die Betroffenen aufgrund der scheinbaren Aussichtslosigkeit ihrer Situation sich nicht getrauten, sich gegen diese mitunter massive strukturelle Gewalt zu wehren.

Insofern ist die Einführung einer Diversion, wenn damit die Erhöhung der Aufklärungsrate http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00361/index.shtmlbezweckt werden würde, durchaus zu begrüßen. Die in die Begutachtung geschickten Vorschläge erfüllen diese Erwartungen leider nicht und lassen eher befürchten, dass die Aufklärung von Amtsmissbrauch, Nötigung und Untreue im Verwaltungsbereich eher zugedeckt denn aufgedeckt wird. 

Nicht akzeptabel ist, dass

  1. Im Gegensatz zur bisher angewandten Diversion der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt sein muss;
  2. Nicht bloß ein Anfangsverdacht vorliegt sondern Diversion auch im fortgeschrittenen Stadium der Untersuchungen möglich sein soll;
  3. Die „rasche Erledigung seines Strafverfahrens ohne negative Folgen einer Vorstrafe ermöglicht“ werden soll;
  4. Allfällige institutionelle Bedingungen, die Amtsmissbrauch und Korruption erleichtern, nicht untersucht und daher auch nicht beseitigt werden.

Dass die Erläuterungen geradezu Mitleid heischend von „Einzelfällen“ mit „tadellosen Vorleben“ und „einmaligen Fehlverhalten“ kann aus unserer Erfahrung mit dem AMS und den Sozialbehörden nicht gesprochen werden. Hier handelt es sich oft um institutionell einge­fahrene Verhaltensmuster die sich für uns als Formen struktureller Gewalt und Rechtsbeugung darstellen. Dafür einen „goldenen Brückenschlag“ anzubieten kann von uns normalsterblichen BürgerInnen, die nicht in den Genuss einer derartigen Sonderbehandlung mit Samthandschuhen angeboten wird, als Hohn empfunden werden.

Gerade im Amtsbereich ist es inakzeptabel die Diversion dazu zu missbrauchen, schnell über institutionelle Missstände hinwegzusehen und so zu weiteren Missbräuchen einzuladen.

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE fordert daher:

  1. Volle Aufklärung jedes Falles von Korruption, Amtsmissbrauch, Nötigung, Verletzung der Amtspflichten usw. Der Sinn von Diversion ist es ja gerade den/die TäterInnen dazu anzuhalten, die Aufklärung von Missständen voll zu unterstützen und weitere Missstände in der Zukunft vermeiden zu helfen.
  2. Keine Diversion in fortgeschrittenen Verfahren, denn das wäre sonst eine Einladung an die Schreibtischtäter vorerst abzuwarten und erst bei sich abzeichnender Auf­klärung sozusagen sich in letzter Minute freizukaufen.
  3. Es ist sicher zu stellen, dass aufgedeckte Missbräuche nicht nur als Einzelfälle abgetan werden, sondern auch die institutionellen Bedingungen und  Mitverant­wortlichkeiten in ihrer Gesamtheit untersucht werden und entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
  4. Unabhängige Menschenrechtsbeiräte, an denen BetroffenenvertreterInnen beteiligt sind, mit ausreichenden Untersuchungskompetenzen und Mitteln sind daher einzu­richten. Damit soll sicher gestellt werden, dass die organisatorischen Voraus­setzungen geschaffen werden, damit derartige Missbräuche nicht mehr ungesehen statt finden können und dass die Betroffenen auch eine unabhängige Beratungsstelle haben.
  5. Das Dienstaufsichtsrecht ist entsprechend zu verschärfen. Insbesondere gehören die Dienst­auf­sichts­beschwerden verbindlicher geregelt, sodass die Beschwerdeführer ein Recht auf schriftliche Erledigung sowie ein Recht auf volle Akteinsicht haben. Ebenso ist die Durchsetzung des Rechts auf Auskunft nach Auskunftspflichtgesetz zu erleichtern.

Mit freundlichen Grüßen

Mag. Ing. Martin Mair
Obmann „AKTIVE ARBEITSLOSE“

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