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ECO-Beitrag „Neustart“: Wie die Regierung Jobs schaffen will, ORF, 02.02.2017

Nachtgespenst am Di., 07.02.2017 - 22:50

Ein Bericht von Christina Kronaus / Emanuel Liedl.
Kamera: Erwin Palmstorfer / Christian Ecker

Moderation: Angelika Ahrens-Gute

erschrift des ORF-Beitrags, zusammengestellt und kommentiert von Sylvia Kreye

Der Beitrag wird von Moderatorin Angelika Ahrens-Gutenbrunner mit folgenden Worten eingeleitet:

„Wer über 50 Jahre alt ist, der hat es oft schwer, dass er überhaupt noch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. In der Fachsprache heißt das: ‚wachsende Risikogruppe’ – nichts, wo man dazu gehören will, aber die jüngsten Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass immer mehr Menschen genau davon betroffen sind. Neue Ideen müssen also her, damit es genau für diese Menschen, die so viel Erfahrung mitbringen, neue Jobs gibt. Christina Kronaus und Emanuel Liedl berichten.“

Der einzige wirklich von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffene, der im Beitrag zu Wort kommt, ist Michael Hartl, ein 57-jähriger ehemaliger Projektmanager, der seit 5 Jahren arbeitslos ist und Mindestsicherung bezieht. Er ist „hartnäckig“, „gibt nicht auf“, heißt es im Bericht. Regelmäßig „pilgert“ er zu FAB, einem Beratungszentrum für Arbeitsuchende 50+ im 10. Wiener Bezirk.

Dieser vom AMS geförderte Verein ist auf „Problemfälle“ spezialisiert – „Menschen, die gesundheitliche und andere Belastungen haben und sich extrem schwertun am Arbeitsmarkt“, wie es im Bericht heißt.

Michael Hartl ist auch der einzige betroffene Arbeitslose, der im Beitrag selbst zu Wort kommt: „Ich hab die Mindestsicherung, und man muss sich einschränken. Dadurch, dass ich älter bin, habe ich einige Dinge, die man, sage ich einmal, dringend braucht, wahrscheinlich schon angeschafft. Wenn man die ersetzen müsste, wird’s haarig, weil das sich dann nicht mehr ausginge. Also wenn der Computer den Geist aufgibt oder jetzt irgendwelche Eingriffe notwendig sind, die die Krankenkassa nicht übernimmt, ist das nicht machbar.“

Zu Firma FAB heißt es im Bericht: „Lange Arbeitslosigkeit zehrt an den Betroffenen, das weiß man hier nur zu genau.“ – Auffallend ist auch, dass im Beitrag wieder einmal nur die Arbeitslosigkeit selbst, nicht jedoch die daraus resultierenden Belastungen für die Betroffenen thematisiert werden. Denn schließlich sind es – neben dem Geldmangel – auch die Folgen, welche den Betroffenen das Leben schwer machen: die Zwangsmaßnahmen am Zweiten Arbeitsmarkt und die Nötigung durch das AMS. Dass der Zwang, an diesen eben doch nicht freiwilligen AMS-Maßnahmen teilzunehmen (zumal wenn es unter Androhung des Existenzentzugs geschieht) mindestens ebenso an den Betroffenen zehrt, wird hier wieder einmal nicht erwähnt!

Helmut Krassl vom Beratungszentrum FAB: „Wir haben den ersten und den geförderten Arbeitsmarkt als Vermittlungserfolg. Das AMS legt uns eine Quote von 30 % auf. – Die schaffen wir. Jede Vermittlung heißt für uns: Arbeit – Knochenarbeit!“ (Anmerkung: Allein dieses Wort sagt doch schon alles!)

Dann folgt ein Ausschnitt einer Pressekonferenz mit Christian Kern und Reinhold Mitterlehner. Dass es sich bei diesem ganzen Arbeitsmarktpaket um nichts weiter als bloßen Aktionismus und ein reines Politikum handelt, wird im folgenden Kommentar deutlich:

„Knochenarbeit, die auch der Regierung nicht erspart bleibt. Um Neuwahlen abzuwenden und die große Koalition zu retten, entscheidet man sich für einen Neustart. Ein Arbeitsabkommen wird beschlossen. Im Fokus steht die Ankurbelung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Neben Förderungen für Unternehmen soll vor allem älteren Arbeitslosen über 50 der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ermöglicht und Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft werden. Das sind drei von vielen wichtigen neuen Maßnahmen des Arbeitsprogramms:

  1. Senkung der Lohnnebenkosten um die Hälfte für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze für drei Jahre

  2. ein Beschäftigungsprogramm mit 20.000 Jobs für Langzeitarbeitslose 50+

  3. die Lockerung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitsuchende

 

"Ambitionierte, aber dringend notwendige Maßnahmen, sagen Experten, denn schon fast eine halbe Million Österreicher ist arbeitslos.“

 

Johannes Kopf, Leiter des Arbeitsmarktservice Österreich, sieht im neuen Programm eine Chance, den Anstieg der Arbeitslosigkeit einzubremsen.

Von der Reduktion der Lohnnebenkosten profitiert auch Dieter Pruggnaller von der Bäckerei Altdorfer in Eisenstadt. Er hofft auf mehr unternehmerfreundliche Maßnahmen. Neben seiner Bäckerei hat der Unternehmer kürzlich ein Restaurant eröffnet und 10 weitere Arbeitsplätze geschaffen. „Das Hauptthema in unserem Betrieb sind die Lohnkosten. Wir haben heute ziemlich genau 50 % Lohnkostenanteil, das heißt, von jedem Euro, den uns unsere Kunden geben – nach der Mehrwert- oder Umsatzsteuer – bekommt 50 % das Personal. Da ist jede Senkung der Lohnnebenkosten ein wahnsinnig wichtiger Faktor. Wir haben in Österreich mit die höchsten Lohnnebenkosten der Welt. Das belastet uns als Unternehmer gerade im handwerklichen Bereich enorm.“, so Pruggnaller.

Um trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben, setzt man in der Bäckerei Altdorfer auf eine Mischung aus Jung und Alt. Es gibt 44 Mitarbeiter, jeder 4. ist älter als 50. Einer von ihnen ist der über 50jährige Bäcker Hermann Wohlfahrt. „Diese erfahrenen Bäcker sind dankbar, eine gute Arbeit zu haben, denn sie wissen: Müssten sie jetzt einen Job suchen, hätten sie wenig Chancen. Dann droht die Langzeitarbeitslosigkeit – ein Risiko, das Bäcker Hermann Wohlfahrt nur allzu gut kennt.“ So der Kommentar im Bericht. [In diesem Falle mag das wohl wirklich zutreffen, denn bei der Firma handelt es sich offenbar um einen Betrieb am Ersten Arbeitsmarkt, und die erfahrenen Bäcker haben ihr Handwerk von Grund auf gelernt.]

Bäcker Hermann Wohlfahrt berichtet, dass einige seiner Freunde (ehemalige Mechaniker und Spengler) schon lange arbeitslos sind und längst resigniert haben, weil sie keinen Job mehr finden. Wenn sie dann doch mal ein Jobangebot erhalten, müssen sie beim Gehalt oft erhebliche Abschläge in Kauf nehmen, und dazu seien viele von ihnen nicht bereit. Manche seien dann nicht mehr gewillt und würden lieber daheim bleiben. Es sei „deprimierend“, so Hermann Wohlfahrt.

Die Angst der über 50-jährigen, arbeitslos zu werden, sei berechtigt, heißt es im Beitrag. Denn diese Generation sei am Arbeitsmarkt eine „Risikogruppe“ – trotz steigender Beschäftigung. 2015 hatten 871.000 der über 50jährigen einen Arbeitsplatz. 2016 stieg die Zahl der Beschäftigten auf 923.000 und heuer nochmals auf 927.000 – ein Anstieg von 6,5 % in drei Jahren. Gleichzeitig jedoch wächst die Zahl der über 50-jährigen Arbeitslosen, von 99.500 im Jahr 2015 auf 105.000 im Jahr 2016 und heuer auf 127.000. Insgesamt ist das ein Anstieg von 28 % in drei Jahren.

 

Das Restaurant INIGO in der Wiener Innenstadt wird im Beitrag als eines der erfolgreichsten gemeinnützigen Betriebe der Stadt vorgestellt. Der Betrieb gehört der Caritas und wird vom AMS gefördert. Im Bericht heißt es: „Zwei Drittel der Belegschaft sind Transitarbeitskräfte, d. h.: ihre Jobs sind auf 6 Monate befristet. Einige von ihnen sind über 50 Jahre alt. Bezahlt wird nach Kollektivvertrag, das sind € 1.350,-- brutto. Ziel ist es, kompetente Mitarbeiter wieder in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren – was nicht so einfach ist.“

 

Die Schwierigkeiten, nach einem Transitarbeitsverhältnis tatsächlich eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, bestätigt auch Trixi Pech vom Restaurant INIGO: „Ich kann nur sagen, die Leute, die bei uns ein halbes Jahr arbeiten, sind fit für den ersten Arbeitsmarkt und könnten sofort eine Stelle antreten, wenn es eine gäbe. Gerade in der Gastronomie ist es nicht einfach, und vor allem nicht für Leute über 50, dass die noch woanders eine fixe, unbefristete Beschäftigung finden.“ – Wenigstens eine ehrliche Aussage!

Dennoch drängt sich hier sofort die Frage auf, warum nicht auch die Transitarbeitskräfte von INIGO zu Wort kamen!

Dann heißt es im Bericht: „Trotzdem, Betriebe wie INIGO könnte es bald mehr geben. Denn die Regierung will 20.000 Jobs im gemeinnützigen Bereich schaffen, die meisten allerdings als Übergang in die Pension. Mit ein Grund, warum die Jobsuche für INIGO-Mitarbeiter so schwer ist, ist der Kündigungsschutz für Mitarbeiter 50+. Den will die Regierung nun lockern, allerdings nur für Neueinstellungen. Viele Unternehmer haben Angst, ältere und nicht mehr leistungsfähige Mitarbeiter behalten zu müssen.“

Dieter Pruggnaller von der Bäckerei Altdorf: „Es gibt ja auch den Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter. Ich habe gerade vor ein paar Tagen mit einem Kollegen gesprochen, der hat gesagt: Also, alle 50+-jährigen kommen in seiner Firma – es ist eine große Firma – auf die sogenannte ‚schwarze Liste’ bei den Bewerbungen, also die haben sehr wenig Chancen, überhaupt zum Bewerbungsgespräch zu kommen – eben weil: Kündigungsschutz, weil in vielen Bereichen unflexibler und teurer. Also das sind sicher die Hauptgründe.“

Dies sei wohl eine „bittere Tatsache“, so der Kommentar. Und weiter: „Die Generation 50+ wird offenbar von vielen Unternehmern von Vornherein als Last empfunden. Den AMS-Chef ärgert das gewaltig.“

AMS-Chef Johannes Kopf meint dazu: „Das muss man offen sagen: Wenn es uns nicht gelingt, auch das Potenzial, das ältere Mitarbeiter haben, auch künftig zu nützen, wird der gesamte Wirtschaftsstandort in Österreich in Gefahr sein – sozusagen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Wir werden älter, und damit müssen wir umgehen. Es ist ja schön, dass wir älter werden, es ist schön, dass wir gesund bleiben und so weiter, aber da müssen wir auch die Dinge umstellen. Da müssen wir auch Antworten finden: Welche Berufe gibt es, die du nicht bis zur Pension ausüben kannst? Wie kann ich umlernen in meinem Leben?“ – und so weiter. Also, da haben wir schon noch einiges vor.“

Der Bericht schließt mit der Feststellung: „Bäcker Pruggnaller hat dieses Potenzial bereits in seine Firma geholt. Aber er zählt zu einer Minderheit. Die Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen wird nachhaltig zum Problem. Die Politik wird also noch einige arbeitsintensive Arbeitsmarktpakete zusammenstellen – und sie überzeugend servieren müssen.“

 

Fazit: Der Bericht ist aus meiner Sicht einseitig und manipulativ. Er gibt nur den Standpunkt der Politiker und Unternehmer wieder, geht jedoch (bis auf das eine Interview) in keinster Weise auf die Sorgen und Nöte der älteren Arbeitslosen ein. Bei den im Beitrag vorgestellten Jobs handelt es sich weder um existenzsichernde noch sinnstiftende Tätigkeiten, sondern vielmehr um künstlich geschaffene Billiglohn-Arbeitsplätze und sinnlose „Beschäftigungstherapie“. Wie es den über 50-jährigen Arbeitslosen mit diesen Transitarbeitsverhältnissen am Zweiten Arbeitsmarkt geht, kommt überhaupt nicht zur Sprache. Der Umstand, dass sich viele der Betroffenen durch solche Zwangsmaßnahmen (die ihnen ja häufig unter Androhung des Existenzentzugs aufgedrückt werden) gedemütigt und entwürdigt fühlen, wird einfach totgeschwiegen! Ebenso verschwiegen wird die Tatsache, dass diese Jobs am Zweiten Arbeitsmarkt weder dazu geeignet sind, die berufliche Existenz nachhaltig zu sichern noch die drohende Altersarmut zu verhindern.

 

Es drängen sich hier einmal mehr die Fragen auf:

  • Warum kommen die Betroffenen (bis auf eine Ausnahme, den 57-jährigen ehemaligen Projektmanager Michael Hartl – siehe oben) wieder einmal nicht zu Wort?
  • Warum werden die älteren Arbeitslosen niemals befragt, wie es ihnen mit diesen Transitarbeitsverhältnissen am Zweiten Arbeitsmarkt ergeht?
  • Warum werden den älteren Arbeitslosen, die ja häufig mit gesundheitlichen Problemen belastet sind, ausgerechnet solche Jobs vermittelt, die mit langem Stehen und körperlichen Anstrengungen verbunden sind?
  • Warum wird niemals der Versuch unternommen, für die in der Regel gut qualifizierten älteren Arbeitslosen (sei es nun ein Handwerk, ein kaufmännischer oder ein akademischer Beruf) sinnstiftende, anständig bezahlte und der Qualifikation angemessene Tätigkeiten zu finden?
  • Warum zielen derartige Programme immer nur auf Zwang, Demotivation und Frustration ab – anstatt durch gezielte Anreize (wie altersgemäße, der Qualifikation und Erfahrung angepasste Tätigkeiten sowie die Förderung von attraktiven Löhnen und Gehältern) auf Motivation und Eigeninitiative zu setzen?
  • Warum wird das Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit und ein selbst bestimmtes Leben wieder einmal völlig ausgehebelt?
  • Könnte es sein, dass einige dieser verantwortlichen Damen und Herren noch nie etwas von diesen Menschenrechten gehört haben und dass sie diesbezüglich eine fachliche Weiterbildung benötigen? Wir könnten diesbezüglich gern behilflich sein!
  • Glauben diese Politiker wirklich, mit solchen Maßnahmen Wähler/innen gewinnen zu können? Glauben diese abgehobenen Damen und Herren immer noch, mit Zwangsarbeit für ältere Arbeitslose Neuwahlen abwenden und die große Koalition retten zu können? – Wer’s glaubt, wird selig!

Liebe Leute, liebe „Mit-Fuffziger“ und „Sechziger“, liebe „Baby-Boomer“ und „Best Agers“: Auf die Barrikaden! WIR sind das Volk! Bitte denkt daran, wenn ihr das nächste Mal zur Wahl geht! Es ist Feuer am Dach – es ist bereits kurz nach zwölf! Es geht hier um kostbare Lebenszeit, um Menschenwürde und unsere Alterssicherung! Langfristig geht es auch um die Frage, wer von uns seinen/ihren wohlverdienten Ruhestand wohl noch erleben wird! (Im Nachbarland Deutschland wird ja bereits über die „Rente mit 70“ diskutiert! – Dies nur als leise Vorwarnung! Wir müssen uns wohl alle warm anziehen – es wird ein langer Kampf!)

Quellenangaben:

Hier nochmals der Link zum ORF-Beitrag:

http://tvthek.orf.at/profile/Eco/11523082

Wenn meine Recherchen stimmen, handelt es sich bei der Bäckerei Altdorfer in Eisenstadt um ein Unternehmen am Ersten Arbeitsmarkt. Offenbar beschäftigt das Unternehmen keine Transitarbeitskräfte. Es handelt sich also nicht um einen SÖB oder ein GBP. Sicherlich bekommt die Bäckerei aber auch eine Förderung vom AMS für jeden älteren Arbeitnehmer.

Auf der Homepage des Unternehmens heißt es:

Das Bäckerhandwerk liegt uns am Herzen. In unserer Backstube arbeiten daher nur ausgebildete, österreichische Bäcker und Konditorinnen, die gemeinsam mit unseren 3 Lehrlingen unsere Produkte in handwerklicher Tradition herstellen.

Hier ist der Link zum Unternehmen:

https://www.altdorfer.at/über-uns

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