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Nachfragen an die kandidierenden Parteien zur Diskussion "Menschenrechtsstadt Graz - Wo bleibt das Soziale?"

Vita Activa am Mo., 30.01.2017 - 22:18

Sehr geehrte Damen und Herren,

nochmals vielen Dank für Ihre engagierte Teilnahme an unserer Wahldiskussion. Die Videos werden in den nächsten Tagen online gestellt.

So spannend die Diskussion war, so wurden viele der Fragen nicht direkt beantwortet und möchten wir deshalb noch nachhaken:

1. Transparenz:

Über die vom Gesetz her vage formulierte Mindestsicherung und andere Sozialleistungen sind zum Teil nur spärliche Informationen zugänglich, weshalb wir BürgerInnen oft nicht wissen, welches Recht nun wirklich angewandt wird und wie wir dieses im Ernstfall durchsetzen können.

Werden Sie dafür sorgen, dass die Stadt Graz die allgemeinen Durchführungsrichtlinien und -anweisungen über Mindestsicherung und andere Sozialleistungen endlich öffentlich auf der Homepage publiziert und verständliche Zusammenfassungen der rechtlichen Umsetzung von Sozialleistungen, auch in schriftlicher Form, uns BürgerInnen zur Verfügung stellt?

Werden Sie dafür sorgen, dass sich BürgerInnen über einen Newsletter über sozialpolitische Aktivitäten der Stadt Graz bzw. des Gemeinderates aktiv informieren können, dass alle Informationen so öffentlich gemacht werden, dass diese auch nach Themen geordnet leicht gefunden werden und dass auch alle Abstimmungsergebnisse der GemeinderätInnen (ähnlich wie beim Europäischen Parlament) übersichtlich dokumentiert werden?

GRÜNE: In die Sozialberatung der Grünen kommen immer wieder Menschen, deren Anträge auf Mindestsicherung gar nicht entgegen genommen oder aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt wurden. Die Mindestsicherung ist das letzte Auffangnetz für in Not geratene Menschen. Umso wichtiger sind ein transparenter Vollzug und eine gute Information jener Menschen, die auf die Mindestsicherung angewiesen werden. Daher unterstützen wir eine transparente Darstellung der Durchführungsrichtlinien zur Mindestsicherung und anderer Sozialleistungen sowie eine verständliche Zusammenfassung für BürgerInnen. Eine Information zur Mindestsicherung in leichter Sprache (easy to read) wurde zwar erstellt, doch liegt diese im Sozialamt offensichtlich nicht auf und ist auch auf der Website der Stadt nicht leicht zu finden.

https://www.graz.at/cms/dokumente/10269022_3875589/5a264e66/BMS_Info-Blatt-Deutsch_leichte%20Sprache_01_2017.pdf

Eine transparente Information der Grazerinnen und Grazer über die Aktivitäten im Gemeinderat und im Stadtsenat haben die Grünen mehrfach eingefordert. So haben wir mehrfach die Übertragung der Gemeinderatssitzunger per Live-Stream beantragt. Die Grünen haben auch mehrfach darauf hingewiesen, dass laut Statut der Stadt eine Dokumentation des Abstimmungsverhaltens der GemeinderätInnen nach Fraktionen vorgesehen ist. Hier konnten wir erreichen, dass seit Februar 2015 das Abstimmungsverhalten der GemeinderätInnen seit Februar 2015 protokolliert und auch auf der Website der Stadt Graz veröffentlicht wird.

http://www.graz.at/cms/beitrag/10246582/410977

2. Mindestsicherung:

Bereits im Dezember 2013 hat die UNO die niedrige Höhe und die Zugangshürden zur Mindestsicherung kritisiert1. Dennoch gab es im Vorjahr in einigen anderen Bundesländern massive Verschlechterungen bei der Mindestsicherung, wie eine willkürliche Deckelung oder massiv geringeren Bezug für anerkannte Flüchtlinge, womit die Österreichische Verfassung (Gleichheitsgebot, Diskriminierungsverbot nach Artikel 14 EMRK) verletzt wird. Werden Sie derartige Verschlechterung in der Steiermark verhindern? Welche Verbesserungen bei der Mindestsicherung wollen Sie durchsetzen. Sind Sie z.B. dafür, dass die Freigrenze für den befristeten Weiterbezug der Mindestsicherung bei Aufnahme einer Erwerbsarbeit von bisher 15% deutlich erhöht wird – wie z.B. vom NÖAAB gefordert – um den Einstieg in Erwerbsarbeit zu erleichtern?

GRÜNE: Die Positionen der Grünen zu den angekündigten und in einigen bereits umgesetzten Verschlechterungen bei der Mindestsicherung sind:

Eine Obergrenze bei der Mindestsicherung von 1.500 € ist verfassungswidrig, kontraproduktiv und benachteiligt Kinder. Der VfGH hat bereits 1988 eine entsprechende Regelung aufgehoben.

Gutscheine statt Geld sind teuer, stigmatisierend und tragen nicht zu einem selbstbestimmten Leben bei. Eine Schlechterstellung von einzelnen Gruppen, z.B. anerkannten Flüchtlingen (die schon jetzt in der Steiermark eine mehrmonatige Wartezeit haben) lehnen die Grünen ab. Diese ist durch nichts zu rechtfertigen, verfestigt Armut und erzeugt prekäre Wohnverhältnisse.

Bei all diesen Vorstößen (Obergrenze, Sachleistungen, Streichung von Leistungen für anerkannte Flüchtlinge) geht es ÖVP und FPÖ darum, armutsgefährdete Gruppen gegeneinander auszuspielen und die Mindestsicherung Schritt für Schritt zu demontieren. Derzeit drohen ein Auseinanderfallen der Regelungen in den Bundesländern und ein Wettlauf, wer am restriktivsten ist, um insbesondere anerkannte Flüchtlinge zur Übersiedlung in ein anderes Bundesland zu nötigen. Eine einheitliche Regelung der Mindestsicherung in allen Bundesländern ist unbedingt notwendig, um diesen „Wettlauf der Grauslichkeiten“ zu stoppen.

Die wichtigsten Forderungen der Grünen zur Mindestsicherung sind:

  • Die vierzehnmalige Auszahlung der bedarfsorientierten Mindestsicherung
  • Die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Beratung und Betreuung
  • Die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf bestimmte Leistungen, die derzeit ohne Rechtsanspruch als Hilfe in besonderen Lebenslagen ausbezahlt werden, darunter die Kostenbeiträge für medizinische Hilfsmittel sowie verschiedene Kosten für Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit
  • Anspruch auf Abdeckung der vollen Wohnkosten
  • Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation
  • Förderung der Erwerbstätigkeit, durch Erhöhung der Freigrenze für den befristeten Weiterbezug der Mindestsicherung bei Aufnahme einer Arbeit
  • Vereinheitlichung der Mindestsicherung in allen Bundesländern

3. Arbeitslosen- und Sozialanwaltschaft:

Aufgrund mangelnder Information und kurzer Fristen für Beschwerden bei den Verwaltungsgerichten haben Armutsbetroffene so gut wie keine Möglichkeit, zu Ihrem Recht zu kommen und aufgrund mangelnder Ressourcen auch keine Möglichkeiten, sich bei der Politik durch Lobbying Gehör zu verschaffen. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Stadt Graz eine Arbeitslosen- und Sozialanwaltschaft mit folgenden Ressourcen und Aufgaben finanziert:

a.) Rechtsinformation und -beratung, Unterstützung und Vertretung Betroffener bei Rechtsverfahren zur Durchsetzung der Rechte der BürgerInnen.

b.) Plattform für Betroffenenselbstorganisationen: Unterstützung von Betroffenenselbstorganisationen sowie Bereitstellung einer politischen Plattform („politischer Beirat“) zu einem Dialog auf Augenhöhe zwischen Betroffenen und Politik/Verwaltung entsprechend ILO Empfehlung 2022. Entsendung von BetroffenenvertreterInnen in sie betreffende Gremien.

c.) Forschung aus Betroffenensicht: Systematische Evaluation des Sozialsystems und Durchführung von partizipativen Forschungsprojekten unter Einbeziehung der Betroffenenselbstorganisationen als ExpertInnen („wissenschaftlicher Beirat“).

Sind Sie bereit, Betroffenenselbstorganisationen in sie betreffenden Gremien wie z.B. den Sozialausschuss des Gemeinderates ein Anhörungs- und Antragsrecht zu geben?

Wie wollen Sie konkret Betroffenenselbstorganisationen in Form von Geld, politischer Aufmerksamkeit, Zugang zu Öffentlichkeit usw. unterstützen?

Die Grazer Grünen setzen sich schon länger für eine unabhängige Stelle ein, die Information, Beratung, Rechtsvertretung und Begleitung für Menschen anbietet, die mit mangelhaften Entscheidungen, Willkür etc. von Seiten der Behörden (AMS, Sozialamt etc.) konfrontiert sind.

Ein Anhörungsrecht von Betroffenenselbstorganisationen im Sozialausschuss des Gemeinderates ist für uns sehr gut vorstellbar und leicht umsetzbar. Für ein Antragsrecht bräuchte es allerdings eine umfassende Änderung der entsprechenden rechtlichen Grundlagen. Hier sehen wir im Moment wenige Chancen auf Umsetzung. Außerdem liegen wesentliche Kompetenzen im Bereich des AMS, der Mindestsicherung etc. auf Bundes- bzw. Landesebene, daher ist auch der Sozialausschuss des Grazer Gemeinderates ein eher „zahnloses“ Gremium, um strukturelle Verbesserungen zu erwirken.

Mit der AMSEL gibt es eine langjährige Zusammenarbeit und auch finanzielle Unterstützung durch die Grazer Grünen. Dies werden wir auch in Zukunft so handhaben.

4. “Zweiter Arbeitsmarkt”:

Das AMS Steiermark will einen „zweiten“ und „dritten Arbeitsmarkt“ weiter ausbauen. Hierbei werden derzeit Erwerbsarbeitslose als ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse behandelt, indem reguläre Branchenkollektivverträge umgangen werden durch eine sittenwidrige und sehr niedrige Pauschalentlohnung („Transitarbeitskräfteregelung“) ohne Anrechnung von Qualifikationen und Vordienstzeiten. TransitmitarbeiterInnen haben auch keine eigene gewerkschaftliche Vertretung und müssen oft rechtswidrige Bestimmungen in Arbeitsverträgen hinnehmen! Aus diesen Arbeitsverhältnissen werden rechtswidrig Daten an das AMS übermittelt. Nach einer groß angelegten Evaluation des „zweiten Arbeitsmarktes“ durch das wifo beträgt der NETTOerfolg des „zweiten Arbeitsmarktes“ lediglich 2,8 Tage mehr pro Folgejahr an ungeförderter Beschäftigung aber die Zahl der geförderten Beschäftigung steigt um 45,6 Tage pro Folgejahr! („Lockin-Falle“)3

Was werden Sie tun, damit auch am „zweiten Arbeitsmarkt“ die ArbeitnehmerInnenrechte endlich voll umgesetzt werden? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass das Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit umgesetzt wird und nur noch Projekte gefördert werden, die auf freiwilliger Basis sind und die unsere Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechte nicht einschränken?

GRÜNE: Die Grünen setzen sich für ordentliche arbeitsrechtliche Standards auch am „zweiten“ und „dritten“ Arbeitsmarkt ein, also für eine adäquate Bezahlung, Einstufung etc. ein. Ebenso wichtig ist uns, dass arbeitslose Menschen von einem Transitarbeitsplatz tatsächlich profitieren und ihre Chancen bei der Arbeitssuche steigen. Das heißt, dass ein Transitarbeitsplatz vor allem mit Qualifizierung, Coaching, Unterstützung bei der Arbeitssuche etc. verbunden sein muss. Und natürlich stehen die Grünen als Menschenrechtspartei auch hinter dem Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit und soziale Sicherheit.

5. Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit und soziale Sicherheit:

Die UNO hat 2013 das Sanktionenregime als mögliche Einschränkung des Menschenrechts auf frei gewählte Arbeit4 erkannt und gefordert, dass die freie Wahl der Arbeit garantiert wird. Wie stehen Sie dazu, dass Menschen, die aufgrund fehlender Erwerbsarbeitsplätze keine Existenz sichernde Arbeit finden, in einer Demokratie unter beständiger Angst leben müssen, aufgrund von Bezugskürzungen und -sperren die Existenzgrundlage zu verlieren und oft in sinnlose Zwangsmassnahmen genötigt werden? Bislang gibt es nicht einmal eine Studie über die Auswirkungen dieser Form der strukturellen Gewalt. Was werden Sie gegen diese Form der Bedrängung erwachsener Menschen unternehmen?

Wir werden Ihre Antworten gerne auf unserer Homepage veröffentlichen und auf diese in einer Presseaussendung hinweisen.

Mit herzlichem Dank für Ihre kooperative Mitarbeit, den WählerInnen Ihre parteipolitischen Zugänge zu den oben erwähnten Themen zu veranschaulichen und ihnen damit eine Entscheidungshilfe für die kommende Wahl zu ermöglichen verbleiben wir mit

freundlichen Grüßen

Karin Rausch
Vita Activa – Akademie angewandter Arbeitslosigkeit

Mag. Ing. Martin Mair
Aktive Arbeitslose Österreich

1Siehe https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=54261

2Siehe dazu: United Nations Human Rights, Office of the High Commissioner: Promotion of and respect for rights and dignity: a briefing note http://www.ohchr.org/Documents/Issues/EPoverty/briefSPILO_Recommendation101.pdf

3Weitere Details siehe “Endstation zweiter Arbeitsmarkt? Grundprobleme des „zweiten Arbeitsmarktes“ unter besonderer Berücksichtigung der Altersdiskriminierung durch das Programm 50” http://www.aktive-arbeitslose.at/download/AAOe_Grundsatzpapier_zweiter_Arbeitsmarkt.pdf

4Menschenrecht auf FREI gewählte Arbeit:

  • UN Menschenrechtserklärung, Artikel 23 [BGBl 120/1956]
  • Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („WSK-Pakt“), Artikel 6 [BGBl 590/1978]
  • ILO Übereinkommen über die Beschäftigungspolitik [BGBl 355/1972]
  • Europäische Sozialcharta, Artikel 1 [BGBl 1969/460]
  • Europäische Grundrechtecharta, Artikel 14 [Amtsblatt EU C 130]

Schutz vor Zwangsarbeit:

  • Europäische Menschenrechtskonvention Artikel 4 [BGBl 1958/210] – im Verfassungsrang
  • Europäische Grundrechtecharta, Artikel 5
  • ILO Übereinkommen ILO 39, ILO 105
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