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Stellungnahme zum "Vorschlag für ein Informations- und Kulturspartenprogramm sowie ein Online-Angebot (ORF Info Plus)"

Aktiver Admin am Di., 21.12.2010 - 16:04
  1. Allgemein

    Der Verein "AKTIVE ARBEITSLOSE" begrüßt, dass der ORF mit einem Spartenkanal vertiefende Informationen anbieten will. Wir bedauern, dass eine eingehende Diskussion dieses Vorschlags nicht möglich ist, da wir erst in letzter Minute über den Umweg einer Mailingliste von der Begutachtungsmöglichkeit erfahren haben und nur ganz kurz Stellung nehmen können. 6 Wochen sind auch so für einen tiefer gehenden ÖFFENTLICHEN Diskurs zu wenig, zumal es vom ORF auch keinerlei direkten Diskussionsmöglichkeiten angeboten worden sind. Dieses Vorgehen zeugt nicht gerade von Innovationsbereitschaft und es ist zu erwarten, dass so viele Potenziale ungenutzt bleiben.
     

  2. Sehr eingeschränkte Zielgruppe

    Der Entwurf nennt die "bürgerliche Mitte" als primäre Zielgruppe von "ORF Info Plus" und sieht eine potentielle Reichweite von 0,8%. Die "bürgerliche Mitte" ist an sich schon politisch ein aussageloser und ideologiebelasteter Begriff und verweist auf das ideolo¬gische Trugbild des "Mittelstands", der aufgrund der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung mit den Tendenzen der Prekarisierung der Lebenszusammenhänge und dem Ansteigen von Massenarbeitslosigkeit und Armut verbunden ist sowieso im schwinden ist.

    Es ergibt sich somit der Verdacht, dass ähnlich wie beim Radioprogramm Ö1 hier nur ein Reservat bzw. Feigenblatt geschaffen wird, das zur Kaschierung des gesellschaftlichen Widersprüche neoliberaler Gesellschaften dient.

    Demhingegen bleiben die Zielgruppen der stetig wachsenden Lohnarbeitslosen und prekär arbeitenden/lebenden Menschen in Österreich, die mittlerweile gut 10 - 20% der Bevölkerung umfassen weiterhin als vom ORF vernachlässigte Zielgruppe ohne spezielle Angebote. Es ist zu vermuten, dass ein Programm für diese Zielgruppen mehr Menschen ansprechen würde. Da diese Menschen nicht primär für die Werbewirtschaft interessant sind, würde gäbe es auch keine Konkurrenzierung bestehender privater Programme, welche die anvisierte Zielgruppe sowieso schon reichlich versorgen, und würde so eher dem öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF entsprochen werden.
     

  3. Eingeschränkter Begriff von Demokratie und politisch relevanter Gruppen

    Der dem Konzept zugrunde liegende Demokratie- und Politikbegriff ist ausgesprochen eng: Nur das, was in den herrschenden Institutionen bürgerlicher, repräsentativer Parteiendemokratie geschieht, scheint für "ORF Info Plus" berichtenswert, sogar dem politisch ziemlich bedeutungslosen Bundesrat wird zu den "wichtigsten Institution des demokratischen Diskurses" gezählt, nicht hingegen politische Diskussionsveranstaltungen, BürgerInnenversammlung oder gar Demonstrationen, über die der ORF entgegen seiner Informationspflicht so gut wie gar nicht berichtet. Die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten von NGOs und BürgerInneninitiativen sollen also wohl weiterhin mit aller Gewalt von der ORF-Berichterstattung ausgesperrt bleiben.
    Die "Abbildung der österreichischen Gesellschaft in ihrer kulturellen, volkskulturellen und regionalen Vielfalt" bleibt eine sehr beschnittene, weil offenbar die politischen und sozialen Aspekte weiterhin ausgeblendet bleiben sollen.

    Wie das Schicksal einer Beschwerde der AKTIVEN ARBEITSLOSEN wegen Verletzung des ORF-Gesetzes durch die Zeit im Bild AMS-Jubelmeldung "Run auf AMS-Schulungen" zeigt, ist die Ausblendung der Lebensumstände der unteren sozialen Schichten vollständig: Unsere Beschwerde wurde vom Bundeskommunikationssenat abgeschmettert, ohne dass auch nur mit einem Satz auf unser Hauptargument – dass der Eindruck erweckt wurde, die Menschen gingen freiwillig in die "Schulungen" und nicht weil sie mit der Entziehung der Existenzgrundlage bedroht werden – eingegangen wurde (Bescheid GZ 611.985/0005-BKS-2010).

    Der ORF soll offenbar weiterhin im Würgegriff der Herrschaft der Parteien und der ständestaatlich anmutenden Sozialpartnerschaft bleiben. Die heißen politischen Themen und insbesondere die großen sozialen Fragen bleiben vermutlich weiterhin ausgeblendet bzw. werden nur in domestizierter Form gebracht. Durch die Immunisierung gegenüber den gesellschaftlichen Widersprüchen trägt der ORF mit bei zur Entfremdung der herrschenden Elite von weiten Teilen der Bevölkerung und wird so seiner demokratie¬politischen und menschenrechtlichen Verantwortung keinesfalls gerecht.
     

  4. Eingeschränkter Kulturbegriff

    Entsprechend der anvisierten "bürgerlichen Mitte" ist auch der Kulturbegriff ein an den etablierten Kultureinrichtungen orientierter. Die "ausgezeichnet Qualität" die spiessbürgerlicher Tradition folgend versprochen wird und die besondere Berücksichtigung von Festival, Events, Jubiläen etc. lässt ein ziemlich kommerziell und am Mainstream orientiertes Kulturprogramm erwarten, bei dem die Subkulturen und insbesondere politisch engagierte wohl auch ausgeblendet werden. ArbeiterInnenkultur als Teil volks¬auf¬klärersicher Bewegungen, wie es sie noch in der Zeit zwischen ersten und zweiten Weltkrieg noch gab, hat hier ebenso keinen Platz. Kultur wird hier zu einem reinen Konsumgut degradiert, das möglichst leicht genießbar und gesellschaftspolitisch möglich kontextfrei "genossen" werden soll. Dass auch volkstümliche, um nicht zu sagen volksdümmliche Kultur Kulturprogramme a la "Frühschoppen" oder "Klingendes Österreich" als Beispiele angeführt werden, lässt einen eher einfältigen Horizont erwarten.

Insgesamt ist dieses politisch sehr einseitige Konzept eine große Enttäuschung. Da der ORF sich offenbar weiterhin als Staatsfunk und Sprachorgan der herrschenden Parteien und Interessens¬gruppen sieht sollte vielmehr überlegt werden, ob jenen Menschen, die sich mit diesem Programm identifizieren können, doch nicht endlich eine Opt Out Möglichkeit bei der Rundfunkgebühr geboten wird. Eine lebendige Demokratie verdient sich ein besseres Programm. Dass der Begriff Menschenrechte erst gar nicht vorkommt, ist bezeichnend.

Mit freundlichen Grüssen

Mag. Ing. Martin Mair
Obmann "AKTIVE ARBEITSLOSE"

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