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VwGH: Sperre von Arbeitslosengeld auf Verdacht geht nicht so ohne weiteres; dennoch Judikat des VwGH mit Tücken

Aktiver Admin am Do., 20.10.2022 - 19:01

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

auch wenn der VwGH in dieser Angelegenheit die Entscheidung des BVwG aufgehoben hat, weist das Judikat schlimme Tücken für Arbeitslose auf. Diese finden sich in den Rz. 17 und 18:

17   »Ist eine Beschäftigung aber nicht evident unzumutbar und hat das AMS nicht von vornherein (etwa auf Grund eines diesbezüglichen Einwands des Arbeitslosen) Kenntnis von einem die Unzumutbarkeit der Beschäftigung begründenden Umstand, so kann es den Arbeitslosen zu dieser Tätigkeit zuweisen. Es liegt dann am Arbeitslosen, beim Vorstellungsgespräch mit dem potenziellen Dienstgeber die näheren Bedingungen der bekannt gegebenen Beschäftigungsmöglichkeit zu erörtern (vgl. etwa VwGH 23.8.2021, Ra 2021/08/0029, unter Hinweis auf VwGH 16.3.2016, Ra 2015/08/0100).

18   Von einer evidenten Unzumutbarkeit der Beschäftigung war im vorliegenden Fall nicht auszugehen, zumal der Revisionswerber nach der ‑ in der Revision nicht bestrittenen ‑ Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht bereits anlässlich der Zuweisung gegenüber dem AMS die Zumutbarkeit in Zweifel gezogen hatte. Er war daher verpflichtet, zunächst die erforderlichen Bewerbungsschritte in geeigneter Form zu setzen und gegebenenfalls in einem Vorstellungsgespräch die näheren Umstände der Beschäftigung zu klären.«

In den Niederschriften zur Vorbereitung Sperrbescheides findet sich standardisiert folgende Textierung:

»Ich, [Vorname Zunahme], erkläre nach Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) - Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für sechs bzw acht Wochen - dass ich zu den nachstehenden Gründen für die Nichtannahme bzw Nichtzustandekommen dieser Beschäftigung befragt wurde und hinsichtlich

  • der konkret angebotenen Entlohnung keine Einwendungen habe
  • der angebotenen beruflichen Verwendung keine Einwendungen habe
  • der vom Unternehmen geforderten Arbeitszeit keine Einwendungen habe
  • körperlicher Fähigkeiten. Gesundheit und Sittlichkeit keine Einwendungen habe
  • der täglichen Wegzeit für Hin- und Rückweg keine Einwendungen habe
  • Betreuungspflichten keine Einwendungen habe
  • sonstiger Gründe keine Einwendungen habe«

Meiner Erfahrung nach wissen die Betroffenen in den seltensten Fällen, ob und welche Einwendungen sie überhaupt erheben/anbringen könnten, die sie im Übrigen bereits anlässlich der Zuweisung geltend machen müssten, ansonsten sie nach diesem Jud praktisch bereits verloren sind. Endgültig verloren ist man dann, wenn anlässlich der Niederschrift der Vordruck, so wie er ist, geschluckt wird.

Wenn die Gesundheitsschädlichkeit – Zuweisung in eine/n gesundheitsschädlichen Beruf/Stelle – nicht sofort geltend gemacht wird, sobald er Zuweisung bekommt, muss sich der arbeitslose Mensch bewerben und dann nach diesem Judikat des VwGH gleich einem Verhandlungsprofi in dem Vorstellungsgespräch die näheren Umstände der Beschäftigung klären, wobei er wenn er gesundheitliche Aspekte selbst oder gar zu deutlich ins Spiel bringt, Gefahr läuft, damit konfrontiert zu werden, dass er arbeitsunwillige sei (und dann vom potentiellen Arbeitgeber, allenfalls nach Kontaktaufnahme durch das AMS, das selektiv Umstände der Arbeitsunwilligkeit abfragt, damit belastet wird).

Selbst wenn er schon einen Kuraufenthalt (der bekanntlich anmaßend erschwert zu erlangen ist) in ein paar Wochen dem potenziellen Dienstgeber vorweg mitteilt, wird er nach der rechtlich geradezu brutalen Judikatur des AMS, des BVwG und des VwGH (der Senat 8 des VwGH in der derzeitigen Besetzung judiziert geradezu arbeitslosenfeindlich, wie nie zuvor) als Arbeitsunwilligkeit eingestuft und eine sogenannte Vereitelung angenommen.

Die letztlich vom VwGH an den Arbeitslosen bzw. bei den Arbeitslosen im Zusammenhang mit einem Vorstellungsgespräch gestellten/vorausgesetzten Anforderungen (er muss alles initiativ abfragen, ohne damit in das gewissermaßen offene Messer der Arbeitsunwilligkeit zu laufen) an ein Verhandlungsgeschick würden eigentlich ein professionelles Verhandlungstraining (zu verschiedenen Trainings bspw nach dem sogenannten Harvard-Konzept voraussetzen.

Für den Fall, dass jemand nicht wissen sollte (Arbeitslose müssen nach der Judikatur des VwGH diese Verhandlungstechniken sowieso beherrschen), was das Harvard-Konzept ist, hier eine beispielhafte Erläuterung https://blog.hubspot.de/sales/harvard-konzept .

Ein derartiges Training wird natürlich vom AMS schon grundsätzlich nicht angeboten, geschweige denn, in Erwägung gezogen, um Arbeitslosen zu helfen. Fragen Sie als Betroffene/r dennoch bei nächster Gelegenheit bei Ihrem AMS nach, ob sie ein derartiges Training, das im Grunde für jeden Arbeitslosen hilfreich wäre, um am Arbeitsmarkt unterzukommen, gefördert erhalten, ohne allerdings – schon in Anwendung des Harvard-Konzepts – sorry für die Ironie) als aufmüpfig wahrgenommen zu werden.

Wenn ein Arbeitsloser gesundheitliche Beeinträchtigungen (sowas empfehle ich dem AMS immer sofort bei 1. Gelegenheit mitzuteilen) aufweist, jedoch nicht das AMS darauf hinweist und keine geschickte Verhandlungsführung/Abklärung der gesundheitlichen Gefährdung im Vorstellungsgespräch (unter Anwendung des Harvard-Konzepts) vornimmt, muss er die Stelle antreten (nicht einmal in dem Anlassfall wurde, obwohl das meines Erachtens klarerweise offenkundig war, angenommen, dass die Stelle gesundheitsschädlich ist), weil für den VwGH, in diesem Anlassfall (vom Schreibtisch aus) im Zweifel gegen den Arbeitslosen angenommen wird (der Sperrrecht nach dem §§ 9 und 10 AlVG steht unter der Prämisse, Stellen annehmen zu müssen, koste es was es wolle, kostet auch Gesundheit, um die um jeden Preis zu schützende Versicherungsgemeinschaft nicht zu belasten), dass eine Stelle nicht offenkundig gesundheitsschädlich ist.

Ob in der zugewiesenen Stelle der Mensch – bspw bei orthopädischen Problemen – zum Krüppel werden kann, und dass im Zweifel ein Gesundheitsschutzplatz greifen muss (was schon Art. 3 der Menschenrechtskonvention gebieten würde) ist für den VwGH ohne Belang. Die den AMSen nacheilende die Judikatur des BVwG und des VwGH ist mehr oder weniger offen auf Abschreckung von arbeitslosen Menschen ausgerichtet, ja jede Stelle um jeden Preis, d. h. koste es was es wolle, anzunehmen. So offen mit Abschreckung gearbeitet wird meiner Erfahrung nach noch im Asylwesen. Natürlich gehört dieses Abschreckungskonzept hinaus posaunt, was die Arbeitsmarktsverwaltung mit großem Stolz durch die Präsentation der Sperrbescheides für Arbeitslose in die Medien bringt (gleich dem Innenminister, der verlautbaren lässt, dass Asylwerber in Österreich praktisch ohnehin keine Chance haben).

Leider, auch wenn es entmutigend scheint, ein gute Nacht für Arbeitslose vor dem Rechtsstaat, auch in Ansehung des Schutzes ihrer Gesundheit, obwohl in diesem Fall noch aus besonderen Gründen sogar eine Aufhebung des Judikats des BVwG erzielt werden konnte.

In einem nicht unbeträchtlichen Teil besteht meine Beratung von arbeitslosen Menschen in der Zwischenzeit darin, sie vor den Tücken und Fallen der Rechtspflege, vor allem nach der Judikatur des VwGH zu warnen und auf diese Weise bestmöglich zu schützen.

Ein krasses Beispiel in diesem Zusammenhang noch einmal erwähnt, da das meiner Erfahrung nach immer noch nicht allgemein bekannt ist: Ein Arbeitsloser darf im potenziellen Dienstgeber nicht sagen bzw. ersuchen, einen unterbreiteten Beschäftigungsvertrag bspw durch die Arbeiterkammer prüfen zu lassen. Das ist nach dem VwGH bereits eine Vereitelung und zieht eine Sperre nach sich.

Die rücksichtslose, einseitige und einäugige Rechtspflege interessiert es in keinster Weise, dass eine Aufklärung über gesundheitliche Problemstellungen (oder ein anstehender während des Arbeitsverhältnisses in Anspruch zu nehmen der Kuraufenthalt) oder eine Rechtssicherheit im Arbeitsverhältnis auch und nicht zuletzt für die Dienstgeberseite im Hinblick darauf, dass diese nachhaltige Beschäftigungsverhältnisse eingehen möchte/muss. Es wäre einmal interessant eine Untersuchung vorzunehmen, was das Hineinzudrücken von arbeitslosen Menschen in Beschäftigungsverhältnisse, die unter Umständen relativ kurzfristig dann von der Arbeitgeberseite, da diese enttäuscht ist, wieder aufgelöst werden die österreichische Volkswirtschaft kostet.

Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen

Rechtsanwalt
Dr. Herbert Pochieser eh.
Schottenfeldgasse 2-4
A-1070 Wien
Tel.: ++43 1 5238667
Fax: ++43 1 5238667-10
s1athpochieser.at
Rechtsanwaltscode: R110832

Tipp Aktive Arbeitslose Österreich:

  1. niemals ohne Begleitung zum AMS wenn eine Niederschrift gemacht wird! Sie haben nach § 10 AVG das Recht auf Begleitung in Form eines "Rechtsbeistand" bzw. auch sonst grundsätzlich das Recht auf Vertretung in behördlichen Angelegenheiten (muß kein Rechtsanwalt sein!).
  2. Unterschreiben Sie niemals etwas, das Sie nicht vollständig gelesen und verstanden haben. Das AMS hat eine Rechtsbelehrungs- und Anleitungspflicht und muß daher nicht nur die genaue Rechtslage erklären sondern Ihnen auch eine Anleitung geben, wie Sie Ihre Rechte geltend machen können. Z.B. wie Sie auch Beweismittelanträge stellen können.
  3. Sollte das AMS Sie mit einer Niederschrift überraschen oder Sachen vorgebracht werden, die nicht zu erwarten waren, dann verlangen Sie am besten einen neuen Termin, denn Sie haben aufgrund der im Verfassungsrang stehenden Menschenrechts auf ein "faires Verfahren" (Artikel 6 EMRK) das Recht, sich ausreichend vorbereiten zu können (zumindest einige Tage). An und für sich ist jede Behörde verpflichtet, wenn eine Niederschrift gemacht wird, in einer vorherigen Ladung auch den Gegenstand der Niederschrift bzw. des Behördentermins Ihnen bekannt zu machen!
  4. Wenn Sie eine Beschwerde gegen den vom AMS dann ausgestllten Bescheid machen, dann bedenken Sie, dass es später beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ein Neuerungsverbot gibt und Sie daher Ihre Beschwerde möglichst gut machen müssen. Alles was Sie an Rechtsargumenten und Tatsachen jetzt nicht einbringen, können SIe im Regelfall später nicht nachholen! Auch wenn Sie den Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen halten wollen, weil in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegte Rechte  möglicherweise verletzt wurden, müssen Sie das ebenfalls bei der ersten Möglichkeit einbringen! Beim VwGH können SIe eine Verletzung der EMRK nur dann neu einbringen, wenn diese Verletzung durch des Bundesverwaltungsgericht gemacht worden ist. Solange das Bundesverwaltungsgericht überIhre Bescherde nicht per Entscheidung oder Beschluss ("Abweisung") entschieden hat, haben Sie das Recht, weitere Argumente, Sachverhalt und Anträge per "Anbringen" einzubringen.
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