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Todreform der Invaliditätspension: Arbeitszwang für ¾ Kranke?

Aktive Arbeits… am So., 01.09.2013 - 18:11

Wien, 1.9.2012, Artikel für "hocknstad" (erweiterte Version)

Just wenn alle auf Urlaub sind, schickt Sozialminister Rudolf Hundstorfer die mit den Sozialpartnern bereits großteils ausgehandelte Reform der Invaliditätspension zur Begutachtung aus. Als Auswirkung versprechen die Erläuterungen: „Durch die Intensivierung der institutionellen Bemühungen im Bereich der beruflichen und medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation wird ein längerer Verbleib der Menschen im Erwerbsleben angestrebt. Dadurch werden sich nicht nur die Einkommenssituation der Betroffenen verbessern und die Pensionsversicherung entlastet, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Anhebung der Lebensqualität der Versicherten geleistet.“

Die „befristete Invaliditätspension“ wird für jene, die jünger als 50 Jahre alt sind, prinzipiell abgeschafft und soll durch ein Recht auf medizinische und/oder berufliche Rehabilitation ersetzt werden. Als finanzielles Zuckerl gibt es für jene, die eine medizinische Rehabilitation machen, eine „Rehabilitationsgeld“ aus der Krankenversicherung, das sich nach dem Krankengeld aus dem letzten Job richtet und für jene, die eine berufliche Rehabilitation (Umschulung) beim AMS machen, ein „Umschulungsgeld“ in der Höhe des Arbeitslosengeldes + 25 Prozent. Das AMS hat bezüglich der Maßnahmen für die berufliche Rehabilitation sogar das Einvernehmen anzustreben. Jedenfalls fallen so beide Gruppen sowohl aus der Arbeitslosenstatistik als auch aus der Pensionsstatistik.

Die Modellrechnung geht von optimistischen Annahmen aus. Das Sozialministerium rechnet damit:

  • 10% gehen pro Jahr in (unbefristete) Pension
  • 20% gehen in berufliche Rehabilitation
  • 10% werden pro Jahr arbeitslos

Somit rechnet man im Sozialministerium dass von den verbleibenden Teilinvaliden 90 % wieder in den „Arbeitsmarkt“ integriert werden können, also „arbeitsmarktaktiv“ werden.

Klingt doch super!?

Armutsfalle Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld

Wer eine medizinische Rehabilitation bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) macht, soll als „Rehabilitationsgeld“ das erhöhte Krankengeld erhalten, das beim letzten Job zugestanden wäre. Dumm nur, dass viele aus der Arbeitslosigkeit kommen und der letzte Job oft viele Jahre zurück liegt (die Inflation wird nicht berücksichtigt) und mitunter die Firma nicht mehr existiert.

Wer beim Arbeitsmarktservice (AMS) eine Umschulung oder Wiedereingliederungsmaßnahme macht, erhält zum Arbeitslosengeld, das nur 55 – 60 Prozent des Jahresnetto des letzten Jobs ausmacht, immerhin 25 Prozent dazu.

Praktisch für den Staat: Beide Bezüge werden nur 12 mal ausbezahlt und nicht 14 mal im Jahr wie die Pension. Für viele ein Verlust. Auch gibt es im Gegensatz zur Pension keine Ausgleichszulage mehr die Bezüge auf 815 Euro (2012) auffettet. Wer weniger Geld bekommt darf zwar Mindestsicherung beantragen, müsste aber vorher fast sein gesamtes Vermögen „verwerten“.

Die Bundesländer als Träger der Mindestsicherung befürchten eine Kostenüberwälzung und noch mehr MindestsicherungsbezieherInnen. Die Krankenkassen werden

Der Teufel liegt im Detail: Arbeitspflicht für-¾ Kranke?

Der große Pferdefuß zeigt sich beim Rehabilitationsziel: Nicht die volle Gesundheit wird da angestrebt, sondern nur die Fähigkeit eine Halbtagsarbeit auszuüben. Bei der „Verfügbarkeit“ für die Rehabmaßnahmen liegt die Latte noch niedriger: nur 10 Stunden pro Woche werden da verlangt. Es wird also indirekt davon ausgegangen, dass die Menschen bis zu ¾ der Zeit nicht arbeits- bzw. rehabfähig sind. Für dauerhafte Invalidität wird allerdings auch nur eine Arbeitsfähigkeit von maximal 50% gefordert, somit ist das Rehabziel auch dann erreicht, wenn gar keine Besserung erfolgt bzw. damit mensch gerade nicht mehr invalide ist und somit in die heiße Schlacht um den letzten Arbeitsplatz geschickt werden kann.

Dass von einem Halbtagsjob kaum jemand menschenwürdig leben kann, ist dem gutbezahlten Herrn Sozialminister auch völlig egal, denn eine Teilinvaliditätspension, mit der ein Einkommen aus mit der Restarbeitsfähigkeit durchgeführten Teilzeitarbeit aufgestockt werden kann, soll es weiterhin nicht geben.

Wer also im alten System vielleicht eine Invaliditätspension von beispielsweise 1200 Euro netto erhalten hätte, muss nun um 500 Euro brutto (14mal im Jahr) eine Halbtagsarbeit machen. Wer damit nicht auskommt ist aufs schikanöse Mindestsicherungsregime angewiesen und muss sein/ihr verbliebenes „Vermögen“ zuerst aufbrauchen, bevor die Aufstockung auf 815 Euro (12 mal im Jahr) erfolgt.

Die Erläuterungen stellen auch Sozialökonomische Betriebe (SÖBs) und Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte“ (GBP) zum Training der Arbeitsfähigkeit in Aussicht. Das bedeutet de facto Zwangsarbeit zum Hungerlohn in der nun weiter ausufernden Armutsindustrie von Caritas, Volkshilfe & Co, die ihr Geschäfte damit machen, anderen Menschen die Menschenrechte zu rauben.

Das auch von Österreich ratifizierte Übereinkommen 122 der Internationalen Arbeitsorganisation (eine Einrichtung der UNO) über die Arbeitsmarktpolitik – veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Nr. 355/1972 – nennt als Ziel der „aktiven Arbeitsmarktpolitik“ die „produktive und frei gewählte Beschäftigung“, die den Lebensstandard hebt. Davon ist hier keinesfalls mehr die Rede! Und schon gar nicht, dass „jeder Arbeitnehmer alle Möglichkeiten hat, die notwendige Befähigung für eine ihm zusagende Beschäftigung zu erwerben und seine Fähigkeiten und Anlagen bei dieser Beschäftigung zu verwenden.“ Hundstorfer pfeift also auf Menschenrechte und völkerrechtlich eingegangene Verpflichtungen!

Peitsche und Zuckerbrot

Es wäre nicht das AMS, wenn es da nicht Sanktionen gäbe: „Personen, die Umschulungsgeld beziehen, sind verpflichtet, bei der Auswahl, Planung und Durchführung der beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation aktiv mitzuwirken. Personen, die dieser Verpflichtung ohne wichtigen Grund nicht nachkommen, verlieren für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Umschulungsgeld.“ (Entwurf § 39b Absatz 3)

Das kennen wir ja vom Betreuungsplan: Da weiß ja auch niemand, dass hier eigentlich das AMS das Einvernehmen zu suchen hat. Da ansonsten allerdings die Sanktionspeitsche droht traut sich niemand seine Rechte einzufordern. Unverhältnismäßig und destruktiv ist, dass selbst für nur kurze Verweigerung für mindestens 6 Wochen eine Bezugssperre droht.

Darum haben sich noch die Sozialpartner, die in den Aufsichtsgremien des AMS sitzen, einen Ausweg offen gehalten: „Zur Frage, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, die zu einem Anspruchsverlust gemäß Abs. 3 führt, ist der Regionalbeirat anzuhören. In berücksichtigungswürdigen Fällen kann an Stelle eines vollen Anspruchsverlustes eine Kürzung des Anspruches verfügt werden. Die Absenkung des Anspruches muss für jede (weitere) Pflichtverletzung mindestens (weitere) 20 vH betragen.“ (Entwurf § 39b Absatz 4).

Gut versteckt: mit fit2work zur Totalüberwachung

Ein paar „kleine“ aber auswirkungsreiche Änderungen, die bislang nicht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreichten, sollen im Package beim „Arbeits- und Gesundheitsgesetz“ (AGG), das die Beratungseinrichtung fit2work regelt, gemacht werden. Verlangt dieses Gesetz bisher „eine ausdrückliche Zustimmung der die Beratung aufsuchende Person“ um Daten zu speichern, so dürfen nun nicht nur ohne Zustimmung der betroffenen Personen die umfangreichen Daten gespeichert werden, sondern diese Daten dürfen auch an die Träger von fit2work, also das AMS, die Gebietskrankenkassen und den Hauptverband der Sozialversicherungen und zum Teil auch an das Bundessozialamt weiter gegeben werden. Darunter fallen „insbesondere auch jeweilige Gutachten, die über den Grund der Inanspruchnahme der Beratungsleistung aufklären oder Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.“ (Entwurf § 7 Absatz 2 AGG). Also nicht nur die Gutachten vom Pensionsverfahren (Gesundheitsstraße) sondern auch – soferne mensch diese an fit2work gegeben hat - jene von Fachärzten und vom Hausarzt!

Diese personenbezogenen Daten sollen „für Zwecke des Controllings, der Evaluierung oder statistischer und wissenschaftlicher Untersuchungen“ (Entwurf § 8 Absatz 1 AGG) auch an Dritte übermittelt werden. Weiter sollen die Daten, um Verlaufsstatistiken zu ermöglichen, bis zu satte 30 Jahre aufgehoben werden können.

Besonders listig: Diese Datenübermittlungen werden nicht auf jene beschränkt, die um Invaliditätspension angesucht haben. Also auch jene, die von sich aus sich freiwillig beraten lassen und auf vertrauliche Behandlung der Daten hoffen, werden zum offenen Buch.

Der Datenhunger der Gebietskrankenkassen wird in den Erläuterungen zur Novelle folgendermaßen begründet: „So soll etwa eine Gebietskrankenkasse, die einen Teil ihrer Versicherten (etwa jenen mit einem besonders hohen Anteil an Krankenständen) auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebots durch ein Schreiben hinweist, überprüfen können, ob diese Schreiben auch den gewünschten Effekt hatten. Andernfalls werden mehrfach Informationen über das Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot übermittelt, die wiederum nur zu Irritationen der betroffenen Personen führen. Mit dieser Möglichkeit wird ein zielgerichtetes Instrument für die diese Leistung finanzierenden Träger geschaffen, ohne dass ein unzumutbarer Nachteil für die Versicherten entsteht. Die Nichtanspruchname des Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebots hat keine nachteiligen Folgen für die jeweiligen Personen, da § 1 Abs. 3 „Freiwilligkeit“ vorsieht.“ ist doch toll, wie man um uns besorgt ist!

Fit2work wird so mit kleinen Veränderungen von einer Beratungseinrichtung für Arbeit und Gesundheit zur nationalen Überwachungsagentur der Arbeitsfähigkeit umgebaut. Das Menschenrecht auf Gesundheit wird offenbar von der neoliberalen Pflicht zur Arbeitsfähigkeit abgelöst.

Immerhin: Richtlinen für ärztliche Gutachten in Sicht.

Es gibt aber auch ein paar grundsätzlich positive Änderungen: So soll nun endlich über alle Sozialversicherungen hinweg eine gemeinsame Akademie zur Ausbildung der Gutachter aufgebaut werden und der Hauptverband der Sozialversicherung wird sogar beauftragt, einheitliche Richtlinien zur Begutachtung der Arbeitsfähigkeit zu erstellen.

Unklar bleibt aber, was bei Missachtung dieser Richtlinien mit den Gutachtern passiert, ob es auch ein individuelles Klagerecht der Betroffenen gibt und wie transparent die Erstellung der Richtlinien ist. Bislang gab es überhaupt keine Regelung für ärztliche Gutachten und entsprechend willkürlich waren diese auch allzu oft.

Auch verbleibt man bei einem eher technokratisch-medizinischen Gesundheitsbegriff, bei dem psychisch Kranke, die zuletzt etwa 55 % der neuen InvaliditätspensionistInnen ausmachten, kaum eine Chance haben werden.

Denn in einem bleibt alles beim Alten: Die Betroffenen werden nicht gefragt und haben auch weiterhin keine eigene Interessenvertretung und sind dem guten Willen der „Sozialpartner“ (Arbeiterkammer, Gewerkschaften, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung) ausgeliefert.

Nach der AlVG-Novelle 2007 und nach der Mindestsicherung wird nun der letzte große Baustein zum neoliberalen Gefängnis des Aktivierungs- und Arbeitszwangregimes gelegt, ohne dass ein breiter politischer Widerstand entstanden ist. Der große Trick ist, dass man so tut, als läge es am Einzelnen und seinen/ihren mangelhaften Anstrengungen sowie seinen/ihren „Vermittlungsdefiziten“, dass sie keine Arbeit finden. Dass es an der Wirtschaft liegen könnte, die Zwecks weiterer Gewinnsteigerung Arbeitsplätze wegrationalisiert bzw. prekarisiert, das soll gefälligst verborgen werden.

Sich irgendwie durchzuschummeln und womöglich die Invaliditätspension als letzte Rettung vor dem repressiven AMS zu erreichen wird nun fast zur Gänze unmöglich. Es ist daher höchste Zeit, dass die Betroffenen sich selbst wirksam politisch organisieren, denn im sozialpartnerschaftlich verhaberten Österreich haben arme, kranke, invalide und arbeitslose Menschen keine Lobby hinter sich.

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