Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.

Hinweis zu E-Mail-Anfrage: Aus technischen Gründen und aus Gründen des Datenschutzes und der Netzpolitik bitte Google und gmx meiden! Weitere Infos

Das Böse kommt auf leisen Sohlen: Armuts- und Arbeitslosenpolitik in Österreich

Aktive Arbeits… am Mo., 06.04.2015 - 17:59

Beitrag für die Zeitschrift "Debatte" (http://debatte.ch/)

Anmekrung: Da die Zeitschrift leider eingestellt worden ist, ist der Artikel auch nicht mehr erschienen.

Für viele gilt Österreich immer noch als Insel der Seligen mit noch scheinbar ganz guten statistischen Zahlen. Täuschen und Tarnen gehört gerade in der Sozialpolitik zum Repertoire. Dennoch lässt sich die steigende Zahl der Erwerbsarbeitslosen nicht verheimlichen: Die offizielle Zahl der Arbeitslosen stieg von 287.206 im Jahr 2013 auf 319.357 im Folgejahr, mehr als je zuvor. Die Zahl der im Kurs geparkten stieg von 73.516 auf 75.317 und die offizielle Zahl aller Arbeitslosen von 360.723 auf 394.675, die nationale Arbeitslosenquote von 9,7 auf 10,5 %. Der Anteil der stark von Lohnarbeit Ausgegrenzten stieg gar auf 40% der Arbeitslosen. Die Wirtschaft diskriminiert Ältere immer massiver.

Auch sonst werden viele Arbeitslose aus der Statistik geschönt: Wer im Krankenstand war, eine Bezugssperre ausfasste (ca. 100.000 im Jahr!), Pensionsvorschuss und andere Leistungen bezog, zählt nicht zu den Arbeitslosen ebenso wie die „stille Reserve“ jener, die sich erst gar nicht als „arbeitssuchend“ melden. Die wirtschaftsliberale „Agenda Austria“ kam zum Schluss, dass die reale Arbeitslosenrate um 60% größer sei.

Das katholische Österreich steht auch deshalb noch relativ gut da, weil traditionell Frauen zu Hause blieben oder nur Teilzeit arbeiteten. Die späte Steigerung der Frauenerwerbsquote schlägt sich in der Teilzeitquote nieder: Diese stieg von 13,6% im Jahr 1994 auf 26,6% im Jahr 2013. Jene der Frauen von 26,0% auf satte 45,5%, jene der Männer aber nur von 4,2 auf 10,0%. Weil kapitalproduktive und gut bezahlte Arbeit, vornehmlich in der Industrie, immer rarer wird und neue Arbeitsplätze in schlecht bezahlten Dienstleistungsbranchen entstehen, hält sich der Gender-Gap hartnäckig bei rund 23% und es stagniert seit über 10 Jahren der durchschnittliche Nettolohn.

Ein punktueller Bruch im klassischen bismarckschen Sozialsystem, das kapitalkonform auf den Erhalt der Arbeitskraft und Lohnarbeitswilligkeit des männlichen Familienernährers abzielt, wie mit Hartz IV in Deutschland war in Österreich nie notwendig. Das Sozialsystem war schon immer sehr restriktiv: Sanktionen für Lohnarbeitslose waren immer zu 100% und ins Ausland fahren durften Arbeitslose nie, weil sie ja rund um die Uhr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen.

Die Sozialpartnerschaft quasi als sanfte, demokratisierte Fortführung des „christlichen Ständestaates“ stellt sicher, dass die Gewerkschaften das kapitalistische Lohnarbeitssystem und die Besitzverhältnisse nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen. Weil die Gewerkschafter stolz sind, in vermeintlich gleicher Augenhöhe mit den Unternehmern verhandeln zu können, gibt es kaum Streiks. Die Sozialdemokratie sorgt schon, dass die Menschen „willig“ bleiben, damit im traditionellen Kuhhandel kleine Fortschritte für die ArbeitnehmerInnen mit neuen Freiheiten für die Unternehmer erkauft werden (geringer Kündigungsschutz, flexible Arbeitszeiten, niedrige Sozialleistungen - Flexunsecurity). Tiefe Einschnitte ins Sozialsystem finden eher unter rot-schwarzen Koalitionen statt, weil dann die SPÖ-nahe Arbeiterkammer und die SPÖ-nahen Gewerkschaften nicht quer treiben dürfen.

So konnte das neoliberale Aktivierungs- und Arbeitszwangregime der EU, das vom Kapital durch die „OECD Job Strategy“ im Jahre 1998 lanciert wurde, ohne systematische Gegenwehr durchgesetzt werden. 2004 wurde in der Arbeitslosenversicherung der letzte Rest des Berufsschutzes und die Berücksichtigung ortsüblicher Überzahlungen bei der „Zumutbarkeit“ von Arbeit entsorgt, dafür ein schwacher Gehaltsschutz für die ersten 100 Tage eingeführt. 2007 hat die frisch gewählte rot-schwarze Koalition den „zweiten Arbeitsmarkt“ mit sozialökonomischen Betrieben legalisiert, wo dank Gewerkschaft mit sittenwidrigen Transitarbeitskräfteregelungen reguläre Kollektivverträge umgangen und nur noch niedrige Pauschallöhne ohne Anrechnung von Vordienstzeiten und Qualifikation gezahlt werden. Arbeitstrainings und Arbeitserprobungen, wo nur AMS- oder Sozialbezüge gezahlt werden, wurden „zumutbar“.

2010 führte Ex-Gewerkschafts-Präsident und Sozialminister Rudolf Hundstorfer die zwiespältige Mindestsicherung ein. Sie bietet im Vergleich zur Sozialhilfe manche Verbesserungen (Krankenversicherung), aber zahlreiche Verschärfungen: Pauschalierung der Leistung (2015: 827,82 Euro, Armutsgrenze EU-SILC 2013: 1.090 Euro) und damit kein Rechtsanspruch auf Sonderbedarf (Reparaturen, chronische Krankheit, …) oder die verstärkte Einbindung in das Arbeitsmarktservice (AMS) mit seinen Zwangsprogrammen durch die Automatisierung von Sanktionen und Datenaustausch. Versteckter Regress bleibt durch Eintrag von Ersatzansprüchen ins Grundbuch. Die Vermögensfreigrenze bleibt mit 4.000 Euro sehr niedrig.

Letzter Baustein war 2014 die Abschaffung der befristeten Invaliditätspension, die zuvor rund 2/3 aller Zusprüche ausmachte. Invalide werden zum AMS abgeschoben, das zentrale Drehscheibe zur Züchtigung der von der Wirtschaft als nicht genug Gewinn bringend aussortierten Menschen wird. Für einige Auserwählte gibt es Rehabilitationsgeld und Case Management mit Sanktionsdrohungen und Zwangsrehabilitation.

Dafür boomt die Armutsindustrie: Die durchschnittliche Zeit, die Arbeitslose in Zwangsmaßnahmen verbringen stiegt kontinuierlich von 5,7 % im Jahr 1993 auf 20,4 % im Jahr 2013 an. Dass AK und Gewerkschaften, die in den Aufsichtsgremien des AMS sitzen, mit dem bfi/baf/BBRZ-Konglomerat größter Anbieter von Zwangsmaßnahmen für Arbeitslose, Invalide und Arme sind, erklärt, warum sie diese „Randgruppen“ tot schweigen so wie die Medien, die von der Regierung mit immer mehr Inseraten auf Kosten der SteuerzahlerInnen angefüttert werden.

Martin Mair und Karin Rausch

Schlagworte